Mathias Melzig, Gregor Samimi
Rz. 56
Muster 2.6: Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG wegen Beschränkung der Akteneinsicht
Muster 2.6: Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG wegen Beschränkung der Akteneinsicht
_________________________ Verwaltungsbehörde/Bußgeldbehörde
_________________________ (Anschrift)
Per Telefax: _________________________
Mandant: _________________________
Aktenzeichen: _________________________
_________________________ (Anrede),
in vorbezeichneter Angelegenheit reiche ich Ihnen den mir überlassenen Auszug aus der Vorgangsakte zurück. Mit Schreiben vom _________________________ haben Sie die Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung zum gegenständlichen Messgerät abgelehnt. Mit der von Ihnen dargelegten Rechtsauffassung kann ich mich indes nicht einverstanden erklären, weil die Ablehnung der Beiziehung der Bedienungsanleitung eine unzulässige Beschränkung der Akteneinsicht darstellt1 und den Grundsätzen eines fairen Verfahrens zuwiderläuft. Hierdurch wird der Mandant in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Eine fachgerechte Überprüfung der gegenständlichen Geschwindigkeitsmessung setzt naturgemäß die Kenntnis der Herstellvorgaben für die Aufstellung und Bedienung des Messgeräts voraus.2
Namens und in Vollmacht des Mandanten beantrage ich deshalb gegen die Ablehnung des Akteneinsichtsgesuchs durch die Verwaltungsbehörde vom _________________________
die Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung gemäß § 62 OWiG. 3
Weiterer Sachvortrag bleibt nach gewährter Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung und deren Übersendung4 in meine Kanzleiräume vorbehalten. Eine fortwährende Versagung der Akteneinsicht würde eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung darstellen.5
Mit freundlichen Grüßen
(Rechtsanwalt)
Rz. 57
Erläuterungen der Fußnoten in Muster 2.6
Fußnote 1
Zu den Akten des Bußgeldverfahrens gehören sämtliche verfahrensbezogenen Unterlagen der Verwaltungsbehörde einschließlich der polizeilichen Ermittlungsvorgänge und etwaige Bild- und Tonaufnahmen, auf die der Tatvorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird. Aus dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit folgt, dass Schriftstücke, Unterlagen, Bild- und Tonaufnahmen, die für den Betroffenen als belastend oder entlastend von Bedeutung sein könnten, den Akten nicht ferngehalten werden dürfen (LG Ellwangen Beschl. v. 14.12.2009 – 1 Qs 166/09, DAR 2011, 418). Befinden sich solche Vorgänge nicht in der eigentlichen Bußgeldakte (den Ermittlungsakten), so müssen auch diese Akten (anderer Behörden) notfalls beigezogen und zugänglich gemacht werden (OLG Celle Beschl. v. 8.8.1977 – 3 Ss 172/77, NdsRpfl 1977, 252). Anderenfalls ist der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt.
Rz. 58
Fußnote 2
Das Einsichtsrecht des Verteidigers in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgeräts ergibt sich m.E. bereits aus dem Recht desselben, den Messbeamten in der Hauptverhandlung als Zeugen zu der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung zu befragen. Dies dürfte ohne Kenntnis der Bedienungsanleitung des eingesetzten Geräts kaum sachgerecht möglich sein.
Rz. 59
Bei der Messung mittels eines sogenannten standardisierten Messverfahrens ist vom Gericht und Verteidiger dessen ordnungsgemäße Anwendung und Durchführung zu prüfen. Von einem standardisierten Messverfahren kann aber nur dann gesprochen werden, wenn das Gerät von seinem Bedienungspersonal auch wirklich standardmäßig, also in geeichtem Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs-/Gebrauchsanweisung verwendet wird. Dies gilt nicht nur für den eigentlichen Betrieb des Geräts, sondern vor allem und gerade auch für die regelmäßig vorausgehenden Gerätetests. Vor diesem Hintergrund ist die Einsichtnahme des Verteidigers in die Bedienungsanleitung vor der Zeugenbefragung des Messbeamten erforderlich, um die Bedienung und Aufstellung des konkret eingesetzten Messgerätes nachvollziehen und durch sachdienliche Nachfragen im Rahmen der Beweisaufnahme überprüfen zu können.
Rz. 60
Die Bedeutung der (Kenntnis der) Bedienungsanleitung für den Nachweis einer Verkehrsordnungswidrigkeit und den Begründungsaufwand des Tatrichters veranschaulicht beispielhaft OLG Düsseldorf Beschl. v. 12.10.2011 – 4 RBs 170/11, VRR 2012, 193: "Die Einhaltung der Gebrauchsanweisung des Geräteherstellers ist bei derartigen Geräten in dem Sinne verbindlich, dass nur durch sie das hierdurch standardisierte Verfahren, das heißt ein bundesweit einheitliches, korrektes und erprobtes Vorgehen, sichergestellt ist. Kommt es im konkreten Einzelfall zu Abweichungen von der Gebrauchsanweisung, so handelt es sich nicht mehr um ein standardisiertes Messverfahren, sondern ein individuelles, das nicht mehr die Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Das Gerät ist dann auch nicht mehr als ein geeichtes anzusehen, weil das im Eichschein verbriefte Prüfergebnis bezüglich der Einhaltung der Verkehrsfehlergrenzen keine Gültigkeit besitzt....