Rz. 96

Gerade bei komplexen Vermögensstrukturen können die gesetzlichen Schutzvorschriften für die Nacherben beim Vorerben zur Handlungsunfähigkeit führen und eine wirtschaftlich sinnvolle oder sogar erforderliche Umstrukturierung eines zum Nachlass gehörenden Unternehmens praktisch unmöglich machen oder doch zumindest erheblich erschweren, wenn der Nacherbe nicht bereit ist, daran mitzuwirken.

 

Rz. 97

Zwar ist der Nacherbe gem. § 2120 BGB zur Zustimmung zu Verfügungen verpflichtet, die der ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses durch den Vorerben dienen. Es bietet sich aber dennoch an, den Nacherben testamentarisch über die gesetzliche Zustimmungspflicht hinaus zur Mitwirkung bzw. Zustimmung bei wirtschaftlich sinnvollen Umstrukturierungen zu verpflichten. Den Maßstab der ordnungsgemäßen Verwaltung kann nämlich der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung selbst bestimmen.[147] Dies gilt jedoch nicht schrankenlos, die Grenzen der Befreiungsmöglichkeiten gem. § 2136 BGB sind vom Erblasser stets zu beachten.

 

Rz. 98

Über die Frage, ob eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung gem. § 2120 BGB entspricht, kann im Einzelfall trefflich gestritten werden. Zwar hat der Vorerbe, der ein Unternehmen führt, einen weiteren Entscheidungsspielraum als ein Erbe, der Vermögen nur verwaltet. Jedoch kann der Vorerbe im Zweifel den Widerstand des Nacherben nur durch ein langwieriges Gerichtsverfahren überwinden, was einen potentiellen Geschäftspartner sicher davon abhalten wird, mit dem Vorerben ernsthafte Verhandlungen über eine Umstrukturierung o.Ä. zu führen. Eine solche Abhängigkeit vom Nacherben kann auf die evtl. lange Dauer der Vorerbschaft (denkbar sind ja 30 Jahre und mehr, vgl. § 2109 BGB) sicherlich ein erhöhtes Streitpotential und damit eine Gefährdung des zu erhaltenden Vorerbes bedeuten. Die gesetzliche Zustimmungspflicht ist also nicht geeignet, die Handlungsfähigkeit des Vorerben für wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen ausreichend zu sichern.

 

Rz. 99

Zur effektiven Sicherung der Handlungsfähigkeit des Vorerben kann sich daher eine Nacherbentestamentsvollstreckung gem. § 2222 BGB anbieten. Der Nacherbenvollstrecker gem. § 2222 BGB nimmt die Rechte des Nacherben in der Zeit zwischen Eintritt des Erbfalls und Eintritt des Nacherbfalls wahr.[148] Sie belastet demnach den Nacherben.[149]

 

Rz. 100

Der Nacherbentestamentsvollstrecker und der Testamentsvollstrecker über die Vorerbschaft können die gleichen Personen sein.[150] Der alleinige Vorerbe kann nach h.M. in Rechtsprechung und Literatur allerdings nicht Nacherbentestamentsvollstrecker sein, da sonst die mit der Nacherbenvollstreckung bezweckte Beaufsichtigung des Vorerben hinfällig wäre.[151] Anweisungen des Erblassers an den Testamentsvollstrecker, die seine Rechte extrem erweitern, können jedoch gem. § 138 BGB nichtig sein.[152]

 

Rz. 101

Als Leitbild für das Ausmaß des zulässigen Ermessens des Testamentsvollstreckers für den Vorerben dient der "dynamische Geschäftsführer", der, um neue Chancen nutzen zu können, nach sorgfältiger Abwägung des Für und Widers auch Risiken eingeht.[153] Die äußerste Grenze dieses Ermessens für den Testamentsvollstrecker findet sich in § 2205 BGB, der unentgeltliche Verfügungen verbietet.[154]

 

Rz. 102

Muster 2.8: Nacherbentestamentsvollstreckung

 

Muster 2.8: Nacherbentestamentsvollstreckung

Während der Dauer der Vorerbschaft soll der Testamentsvollstrecker auch die Rechte der Nacherben gemäß § 2222 wahrnehmen. Sollte die Zustimmung der Nacherben zu Verfügungen oder sonstigen Handlungen der Vorerben erforderlich werden, ordnen wir an, dass diese insbesondere zur Zustimmung zu allen sinnvollen Umstrukturierungsmaßnahmen verpflichtet sind. Diese Maßnahmen stellen stets eine ordnungsgemäße Verwaltung im Sinne der §§ 2120, 2216 BGB dar. Der Testamentsvollstrecker ist berechtigt und verpflichtet, die Zustimmung der Nacherben nach eigenem Ermessen als Nacherbentestamentsvollstrecker abzugeben. Er ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.

[147] MüKo/Lieder, § 2120 Rn 8.
[148] Tanck/Krug/Süß/Uricher, Anwaltformulare Testamente, § 17 Rn 36.
[149] Tanck/Krug/Süß/Uricher, Anwaltformulare Testamente, § 17 Rn 38.
[150] MüKo/Zimmermann, § 2222 Rn 9. Es wird sogar vertreten, dass der Testamentsvollstrecker, der gleichzeitig für den Vorerben und den Nacherben ernannt worden ist, gar nicht den Beschränkungen des Vorerben gem. §§ 2113, 2114 BGB unterliegt, sondern nur den Begrenzungen der Testamentsvollstreckung, namentlich dem Verbot von Schenkungen aus § 2205 BGB.
[151] Vgl. DNotI-Report 24/2015, 185, 186 m.v.w.N.
[152] Palandt/Weidlich, § 2216 Rn 4; NK-BGB/Kroiß, § 2216 Rn 18.
[154] Palandt/Weidlich, § 2216 Rn 2.

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