Rz. 103

Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft stellt für den Erblasser eine sehr sichere Möglichkeit dar, die erbrechtlichen Ansprüche des Zweitbedachten zu sichern. Ein unerwünschtes "Abwandern" von Vermögenswerten aus der Familie kann vermieden werden. Außerdem besteht ein Schutz vor Pflichtteilsansprüchen eines Pflichtteilsberechtigten des Vorerben, denn die Vorerbschaft wird bei der Berechnung etwaiger Pflichtteilsansprüche nach dem Tod des Vorerben nicht berücksichtigt. Dies kann etwa dann relevant sein, wenn in Patchworkfamilien der zweite Ehegatte zunächst bedacht werden soll, aber dessen Kinder nicht an dem Vermögen partizipieren sollen. Auch kann so abgesichert werden, dass, falls die eigenen Kinder zunächst Erben werden und dann vor dem geschiedenen Ehepartner sterben, dieser so mittelbar doch wieder in den Genuss des eigenen Vermögens gelangt. Diese Gestaltung ist daher beim Geschiedenentestament von großer Bedeutung.

 

Rz. 104

Insbesondere die Verbindung der Ziele des Erblassers, einerseits die Versorgung einer nahestehenden Person, beispielsweise des Ehegatten, zu sichern und andererseits das Familiengut im Stamm der eigenen Familie zu erhalten, kann so problemlos umgesetzt werden.

 

Rz. 105

Die Vor- und Nacherbschaft hat jedoch auch erhebliche Nachteile. Der Erblasser schränkt damit seinen vermeintlichen Haupterben, nämlich den Vorerben, ganz erheblich ein. Oft ist eine solche Einschränkung in dem Maße gerade nicht gewollt, worüber auch die Befreiungsmöglichkeiten des § 2136 BGB nicht hinweghelfen können. Hinzu kommt, dass die Konstruktion der Vor- und Nacherbschaft rechtlich sehr komplex und für den Laien kaum durchschaubar und beherrschbar ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn absehbar ist, dass der Eintritt des Nacherbfalls erst nach Ablauf einer langen Zeit seit Eintritt des Vorerbfalls erfolgen wird. Es wird dem Vorerben zunehmend schwerfallen, die Trennung der zwei Vermögensmassen Vorerbschaft und Eigenvermögen durchzuhalten. Das ist vom Erblasser überdies auch oft nicht gewollt.

 

Rz. 106

Falls der Vorerbe zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört, wird er daher möglicherweise überlegen, ob er die Vorerbschaft gemäß § 2306 BGB ausschlägt und stattdessen den Pflichtteil verlangt. Damit wäre die vom Erblasser gewünschte Erbfolge vollständig unterlaufen.

 

Rz. 107

Gem. § 6 ErbStG gilt der Nacherbe steuerrechtlich als Erbe des Vorerben. Dieser wiederum wird als Vollerbe des Erblassers angesehen, obwohl beim Eintritt des Nacherbfalls der Vorerbe das Vermögen an den Nacherben herauszugeben hat. Damit führt die Vor- und Nacherbschaft zu einer Doppelbesteuerung des Vermögens des Erblassers. Eine Abmilderung kann sich aus § 6 Abs. 3 ErbStG ergeben, wenn der Nacherbfall zu Lebzeiten des Vorerben eintritt, da dann die vom Vorerben entrichtete Steuer (teilweise) auf die Steuerlast des Nacherben angerechnet werden kann. Zudem hat der Nacherbe gem. § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG ein Wahlrecht, wonach er beantragen kann, dass der Besteuerung des Nacherbfalles das Verhältnis zum ursprünglichen Erblasser statt zum Vorerben zugrunde gelegt wird. Auch § 27 ErbStG kann die Steuerlast etwas verringern, wenn zwischen Erbfall des Erblassers und Eintritt der Nacherbfolge weniger als 10 Jahre liegen. Falls Vor- und Nacherbe zur Steuerklasse I gehören, verringert sich die zu zahlende Steuer um bis zu 50 %.[155] Das bedeutet, dass bei Vor- und Nacherbschaft aber immer mindestens 50 % mehr Steuern anfallen, wenn die Steuerfreibeträge überschritten sind, als bei direktem Erwerb des Nacherben. Falls der Nacherbe auch Erbe des Vorerben wird (oft bei Ehegatten und gemeinsamen Kindern als Nacherben des Erstverstorbenen und Vollerben des Zweitverstorbenen), kann er für den zweiten Erbfall einen Steuerfreibetrag nur insoweit geltend machen, als dieser nicht durch den Erwerb des Nacherbes bereits aufgebraucht worden ist. Grundsätzlich stünden z.B. den Kindern sowohl beim Tod des erstversterbenden als auch beim Tod des zweitversterbenden Elternteils jeweils ein Freibetrag zu. Die Vor- und Nacherbschaft führt daher dazu, dass der Freibetrag des Nacherben, den dieser beim Tod des Erstversterbenden ggf. geltend machen könnte, nicht genutzt werden kann.

[155] Daragan/Halaczinsky/Riedel/Halaczinsky, Praxiskommentar ErbStG und BewG, § 27 ErbStG Rn 4.

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