I. Typischer Sachverhalt
Rz. 19
Erblasser E hat ein notarielles Testament errichtet. Er will es widerrufen.
II. Rechtliche Grundlagen
1. Regelung des § 2300 BGB
Rz. 20
§ 2300 BGB lautet:
§ 2300 BGB Anwendung der §§ 2259 und 2263; Rücknahme aus der amtlichen oder notariellen Verwahrung
(1) Die §§ 2259 und 2263 sind auf den Erbvertrag entsprechend anzuwenden.
(2) Ein Erbvertrag, der nur Verfügungen von Todes wegen enthält, kann aus der amtlichen oder notariellen Verwahrung zurückgenommen und den Vertragschließenden zurückgegeben werden. Die Rückgabe kann nur an alle Vertragschließenden gemeinschaftlich erfolgen; die Vorschrift des § 2290 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 und 3 findet Anwendung. Wird ein Erbvertrag nach den Sätzen 1 und 2 zurückgenommen, gilt § 2256 Abs. 1 entsprechend.
Sinn des § 2300 Abs. 2 BGB ist es, eine Eröffnung aufgehobener Erbverträge zu vermeiden. Auch musste ein Notar früher die aus der amtlichen Verwahrung zurückgegebenen Erbverträge weiter verwahren. Dies ist bei Erbverträgen, die nur Verfügungen von Todes wegen enthalten, nicht notwendig.
Beachte
Gegebenenfalls kann bei der Errichtung ein Hinweis auf die Möglichkeit einer getrennten Beurkundung in Betracht kommen. Dabei dürfen aber auch die Kostenfolgen nicht außer Betracht bleiben, § 102 GNotKG.
2. Voraussetzungen des § 2300 Abs. 2 BGB
a) Rückgabemodalitäten
Rz. 21
Die Rückgabe kann nur an alle Vertragschließenden gemeinsam erfolgen. Voraussetzung ist dabei auch eine körperliche Aushändigung, d.h. sämtliche Beteiligte müssen sich beim Notar einfinden.
b) Testierfähigkeit
Rz. 22
Aus der Verweisung auf § 2290 Abs. 3 BGB ergibt sich, dass zumindest die Person, die die Verfügung getroffen hat, weiterhin testierfähig sein muss, damit die Wirkungen des § 2256 BGB eintreten können.
3. Notarielles Rücknahmeverfahren
a) Belehrung
Rz. 23
Entsprechend § 2256 Abs. 1 S. 2 BGB soll die zurückgebende Stelle, also auch der Notar im Falle der notariellen Verwahrung, über die Folgen der Rücknahme ("Widerrufsfiktion") belehren. Das Unterlassen der Belehrung wirkt sich zwar nicht auf die Frage der Wirksamkeit des Widerrufs aus, jedoch kann es haftungsrechtliche Folgen nach sich ziehen. Zuständig für die Rückgabe ist der Notar persönlich, § 25 BNotO. Eine Delegation ist schon im Hinblick auf die notwendige Überprüfung der Testierfähigkeit nicht möglich.
b) Vermerk auf der Originalurkunde
Rz. 24
Auf der Originalurkunde sind sowohl die Tatsache der Rückgabe als auch die eingetretene Widerrufsfiktion zu vermerken.
Rz. 25
Muster 2.3: Rücknahmevermerk
Muster 2.3: Rücknahmevermerk
_________________________
Dieser Erbvertrag gilt durch die am _________________________ erfolgte Rückgabe aus der notariellen Verwahrung als widerrufen, §§ 2300 Abs. 2, 2256 BGB.
_________________________, den _________________________
(Name, Amtsbezeichnung)
c) "Aktenkundigmachen"
Rz. 26
Schließlich war die Rückgabe und die dabei erfolgte Belehrung durch einen Aktenvermerk entsprechend §§ 20 Abs. 1, 18 Abs. 1 DONot aF aktenkundig zu machen und in das Erbvertragsverzeichnis einzutragen. Zum 1.1.2022 wurde die bisherige DONot vollständig neu gefasst. Zahlreiche Regelungen, die bisher in der DONot enthalten waren, sind seither aufgrund der Einführung des Elektronischen Urkundenarchivs in der NotAktVV enthalten. Sonderbestimmungen für Verfügungen von Todes wegen enthält § 33 NotAktVV.
§ 33 NotAktVV Sonderbestimmungen für Verfügungen von Todes wegen
(1) Wird ein Erbvertrag aus der notariellen Verwahrung zurückgegeben, so ist anstelle des Erbvertrags ein Vermerk mit den Angaben nach § 9 Nummer 1 bis 3 und der Urkundenverzeichnisnummer zur Erbvertragssammlung zu nehmen.
(2) Wird über die Rückgabe des Erbvertrags keine Niederschrift errichtet, soll der Notar in dem Vermerk die Erfüllung der ihm nach § 2300 Absatz 2 Satz 3 in Verbindung mit § 2256 Absatz 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs obliegenden Pflichten aktenkundig machen. Die Personen, an die der Erbvertrag zurückgegeben wurde, sind mit den in § 12 Absatz 2 Satz 1 und 2 genannten Angaben zu bezeichnen.
(3) Der Notar hat den Vermerk zu unterschreiben.
(4) Auf Antrag aller Beteiligten ist diesen die in der Urkundensammlung verwahrte beglaubigte Abschrift einer Verfügung von Todes wegen auszuhändigen.
(5) Wird bei einer Verfügung von Todes wegen vor deren Registrierung im Zentralen Testamentsregister die Aushändigung der Urschrift zum Zwecke des Widerrufs durch Vernichtung verlangt, so sind die Absätze 1 bis 3 mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass der Vermerk zur Urkundensammlung zu nehmen ist.
Rz. 27
Muster 2.4: Aktenkundigmachung 17 § 2300 Abs. 2 S. 3 BGB.
Muster 2.4: "Aktenkundigmachung"
_________________________
Der/Die Erblasser ist/sind darüber belehrt worden, dass der Erbvertrag durch die Rückgabe als widerrufen gilt. Ein entsprechender Vermerk ist auf dem Erbvertrag gemacht worden.
d) Kosten
Rz. 28
Die Rücknahme des Erbvertrages aus der notariellen Verwahrung löst ebenso wie die Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung beim Amtsgericht keine Kosten aus, da es an einem entsprechenden Gebührentatbestand im GNotKG fehlt.