Rz. 84
Als Ausdruck einer über den Tod hinausgehenden Fürsorgepflicht des Erblassers für seine nächsten Angehörigen soll durch das Pflichtteilsrecht eine gesetzlich normierte Mindestteilhabe am Vermögen des Erblassers gesichert werden. Wäre der geschützte Personenkreis auf den aktuellen Bestand des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls angewiesen, könnten derartige Pflichtteilsansprüche durch lebzeitige Vermögensverschiebungen des Erblassers jederzeit umgangen werden. Insoweit zielt der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB auf eine Beteiligung nicht nur am realen Nachlass, sondern im zeitlich festgelegten Rahmen am wirtschaftlichen Wert des lebzeitigen Vermögens ab.
Rz. 85
Um eine solche Mindestbeteiligung zu gewährleisten, partizipieren die Pflichtteilsberechtigten rechnerisch über den realen Nachlass hinaus auch an den unentgeltlichen Vermögensverfügungen des Erblassers aus den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall, wobei die Zehn-Jahres-Frist bei Verfügungen an den Ehegatten erst mit Beendigung der Ehe zu laufen beginnt (§ 2325 Abs. 3 BGB).
Rz. 86
Beispiel
Der Nachlass des nicht verheirateten Erblassers A beläuft sich im Erbzeitpunkt auf 800.000 EUR. Durch testamentarische Verfügung hat er B eingesetzt. Zu Lebzeiten hat A seinem Freund C kurz vor seinem Tod 200.000 EUR geschenkt. Gesetzliche Erben 1. Ordnung wären die leiblichen Kinder D und E des A. Der ordentliche Pflichtteil der beiden Kinder beläuft sich jeweils auf 200.000 EUR (¼ von 800.000 EUR). Unter Hinzurechnung der Schenkung an C ergibt sich ein fiktiver Gesamtnachlass in Höhe von 1.000.000 EUR. Aus diesem würde sich ein Gesamtpflichtteil von jeweils 250.000 EUR für D und E ergeben. Beiden steht somit die Differenz zwischen dem ordentlichen Pflichtteil und dem fiktiven Gesamtpflichtteil zu. Sie haben gegen B einen Pflichtteilsergänzungsanspruch von jeweils 50.000 EUR.
Rz. 87
Inhaber eines solchen Anspruchs kann nur der Kreis der Pflichtteilsberechtigten (§ 2303 BGB) sein. Während der ordentliche Pflichtteilsanspruch mit Ausnahme des Zusatzpflichtteils nach § 2305 BGB nur dem enterbten Pflichtteilsberechtigten zusteht, kann Inhaber eines Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB auch jemand sein, der nicht von der Erbfolge ausgeschlossen wurde.
Rz. 88
Die beiden Ergänzungsansprüche aus §§ 2325 und 2329 BGB unterscheiden sich nach Ansicht des OLG Brandenburg durch Art und Umfang der Haftung. Die Haftung des Beschenkten setze da ein, wo die Zahlungsverpflichtung des Erben aufhört und der Nachlass zur Befriedigung der Ergänzungsberechtigten nicht ausreicht. Der Ergänzungsanspruch des § 2329 BGB sei generell nur bei Geldgeschenken oder bei bereicherungsrechtlicher Werthaltung auf Zahlung gerichtet. Bei anderen Geschenken sei er durch Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den geschenkten Gegenstand in Höhe des zu bezifferten Fehlbetrages durchzusetzen.