I. Testierfreiheit
Rz. 102
Um die Testierfreiheit des Mandanten feststellen zu können, bzw. gegebenenfalls wieder herzustellen, sollte der Berater sich alle bisherigen vom Mandanten errichteten Verfügungen von Todes wegen geben lassen. Hat der Mandant bereits ein gemeinschaftliches Testament errichtet, welches wechselbezüglich und bindend ist, so ist vor der Errichtung einer neuen Verfügung von Todes wegen dieses zu Lebzeiten beider Ehegatten einseitig durch notariellen Widerruf oder gemeinsam durch ein gemeinschaftliches Aufhebungstestament zu beseitigen.
Rz. 103
Hat sich der Mandant bereits in einem Erbvertrag gebunden, so kann dieser nicht mehr einseitig aufgehoben werden, wenn ein Rücktrittsvorbehalt nicht vereinbart wurde. Gleiches gilt für den Fall, dass bei einem gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Testament der erste Todesfall bereits eingetreten ist. Sieht der Erbvertrag oder das gemeinschaftliche Testament allerdings einen Änderungsvorbehalt vor, so ist eine Verfügungsmöglichkeit innerhalb des Änderungsvorbehaltes möglich (siehe hierzu § 19 Rdn 67 ff.).
Rz. 104
Wird mangelnde Testierfreiheit festgestellt, so ist die Möglichkeit einer Anfechtung (§§ 2078, 2079 BGB) durch den Erblasser zu prüfen. Eventuell kann die Verfügungsfreiheit von Todes wegen durch Geltendmachung des Anfechtungsrechts wiedererlangt werden. Ein einseitiges Testament kann der Erblasser dagegen zu Lebzeiten nicht anfechten, weil er es jederzeit widerrufen kann.
Rz. 105
Hat ein Erblasser mehrere Testamente hinterlassen, ohne jeweils das vorangehende aufzuheben, so besteht die Schwierigkeit, den endgültigen Willen zu ermitteln. Im Einzelnen sind hier die §§ 2253 ff. BGB zu berücksichtigen. Es liegt auf der Hand, vorab die einzelnen Verfügungen mit ihrem jeweiligen Inhalt in einer zeitlichen Reihenfolge aufzulisten, insbesondere im Hinblick auf § 2258 BGB, wonach ein früheres Testament insoweit aufgehoben wird, als es dem späteren widerspricht.
II. Verzichtsverträge
1. Erbverzicht
Rz. 106
Der Erbverzicht ist als Gestaltungsmittel fast nie zu empfehlen. Der Verzichtende wird bei der Bemessung der Pflichtteilsquote der anderen Berechtigten nicht mitgezählt, sodass sich deren Pflichtteilsquoten erhöhen. Da er trotz dieses erheblichen Nachteils immer noch häufig beurkundet wird, bleibt er Gegenstand erbrechtlicher Auseinandersetzungen.
2. Pflichtteilsverzicht
Rz. 107
Im Gegensatz zum Erbverzicht kann der Pflichtteilsverzicht ein sehr gutes Gestaltungsmittel sein. Durch den Pflichtteilsverzicht erhält der Erblasser seine volle Testierfreiheit wieder. Der Erblasser kann nach den Grundsätzen der Vertragsfreiheit Regelungen treffen, die in zulässiger Weise ein Gegengewicht zum zwingenden Pflichtteilsrecht darstellen.
3. Zuwendungsverzicht
Rz. 108
Hier verzichtet ein im Testament oder Erbvertrag Bedachter vor dem Erbfall auf die Zuwendung. Der Zuwendungsverzicht ist nur in seltenen Fällen sinnvoll, da in der Regel der Widerruf der letztwilligen Verfügung einfacher ist. Zu bedenken ist ferner, dass nach dem Verzicht an die Stelle des Verzichtenden regelmäßig ein Ersatzerbe oder ein Ersatzvermächtnisnehmer treten wird, sodass der gewünschte Erfolg in diesen Fällen ausbleibt.