Isabelle Losch, Gabriela Hack
Rz. 94
Nach § 630d Abs. 1 S. 1 BGB muss vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme der Behandelnde die Einwilligung des Patienten einholen. Ist dieser einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung des hierzu Berechtigten einzuholen, § 630d Abs. 1 S. 2 BGB. Berechtigter kann der Bevollmächtigte sein. Dieser kann entscheiden, ob ärztliche Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe am Vollmachtgeber vorgenommen werden sollen oder nicht. Die Vollmachtsurkunde muss dabei die Maßnahmen nach § 1829 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB (§ 1904 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB a.F.) ausdrücklich mit umfassen (siehe Rdn 40 ff.).
Zu beachten ist insoweit, dass trotz einer wirksamen Bevollmächtigung die Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen ist, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Vollmachtgeber aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, § 1829 Abs. 1 und Abs. 2 BGB (§ 1904 Abs. 1 und 2 BGB a.F.). Im Gegensatz zu Abs. 1 muss die Maßnahme bei Abs. 2 medizinisch angezeigt sein.
Solche gefährlichen Maßnahmen können, abhängig vom Allgemeinzustand des Patienten, sein:
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Untersuchungen, wie z.B. Bronchoskopie, Herzkatheterisierung, ERC (P); |
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operative Behandlungsmaßnahmen, wie z.B. Herzoperationen, Transplantationen, neurochirurgische Eingriffe und alle großen chirurgischen Eingriffe in den unterschiedlichen chirurgischen Fachgebieten; |
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nichtoperative Behandlungsmaßnahmen, wie z.B. Chemotherapie, Dauerbehandlung mit Psychopharmaka; |
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Abbruch der mit einer PEG-Magensonde ermöglichten künstlichen Ernährung. |
Ohne Genehmigung des Betreuungsgerichts sind diese Maßnahmen nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Auf alle Fälle ist aber zuvor eine ärztliche Aufklärung erforderlich, § 630d Abs. 2 BGB.
Eine Patientenverfügung des Vollmachtgebers ist in diesem Zusammenhang von dem Bevollmächtigten immer zu berücksichtigen, diese geht auch dem Ehegattenvertretungsrecht vor. Denn nach § 1829 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 BGB (§ 1904 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 BGB a.F.) ist keine Genehmigung erforderlich, wenn zwischen Bevollmächtigtem und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1827 BGB (§ 1901a BGB a.F.) festgestellten Willen des Betroffenen – also dessen Anordnungen im Rahmen seiner Patientenverfügung oder dessen mutmaßlichem Willen – entspricht (zum Entscheidungsprozess über medizinische Maßnahmen siehe Rdn 106).
§ 1829 BGB gilt bei dem neu geschaffenen Ehegattenvertretungsrecht gem. § 1358 Abs. 6 BGB.
Rz. 95
Grundsätzlich kann ein Dritter auch dazu bevollmächtigt werden, über den Abbruch einer Heilbehandlung zu entscheiden, etwa ob lebenserhaltende Maßnahmen am betroffenen Vollmachtgeber, wie etwa künstliche Ernährung oder Beatmung, beendet werden sollen.
Rz. 96
§ 1827 Abs. 3 BGB (§ 1901a Abs. 3 BGB a.F.) stellt ausdrücklich klar, dass der Patientenwille unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung gilt. Damit wurde die früher umstrittene Frage, ob eine Patientenverfügung auch bei noch nicht eingesetztem Sterbevorgang beachtet werden muss, zugunsten des Selbstbestimmungsrechts der betroffenen Person beantwortet. Demgemäß ist das Vorliegen einer Grunderkrankung mit einem irreversibel tödlichen Verlauf nicht Voraussetzung für den zulässigen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen.
Rz. 97
Sofern der Betroffene seinen diesbezüglichen Willen in einer Patientenverfügung niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, ist eine betreuungsgerichtliche Genehmigung hierfür nicht erforderlich.
Rz. 98
Bei der Abfassung von Vorsorgevollmachten ist also zu beachten:
Neben der ausdrücklichen Bevollmächtigung zur Einwilligung in den Abbruch einer Heilbehandlung ist gleichzeitig auch eine Patientenverfügung, die einen diesbezüglichen Willen des Verfügenden manifestiert und auch den Bevollmächtigten in seiner Entscheidung bindet, zu erstellen.