Rz. 104

Mit Wirkung zum 22.7.2017 war § 1906a BGB a.F. neu eingeführt worden mit der Regelung, unter welchen Voraussetzungen ein Betreuer bzw. über Abs. 5 ein Bevollmächtigter für den Betroffenen in eine ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen kann. Mit Wirkung zum 1.1.2023 wurde § 1906a BGB a.F. von § 1832 BGB abgelöst. Per Legaldefinition des § 1832 Abs. 1 S. 1 BGB (§ 1906a Abs. 1 S. 1 BGB a.F.) handelt es sich bei einer Untersuchung des Gesundheitszustands, einer Heilbehandlung oder einem ärztlichen Eingriff gegen den natürlichen Willen des Betreuten bzw. Vollmachtgebers um eine ärztliche Zwangsmaßnahme. Die Vorschrift gilt nicht nur für Maßnahmen im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung.

 

Rz. 105

Für eine rechtsgeschäftliche Vertretung muss die Vollmacht schriftlich erteilt sein und die ärztlichen Zwangsmaßnahmen ausdrücklich umfassen (§ 1820 Abs. 2 BGB).

 

Rz. 106

Für eine Einwilligung in eine solche medizinische Behandlung durch den Bevollmächtigten müssen die Voraussetzungen des § 1832 BGB (§ 1906a Abs. 1 S. 1 BGB a.F.) kumulativ vorliegen. Diese sind:

Die ärztliche Zwangsmaßnahme ist notwendig, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden von diesem abzuwenden § 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB (§ 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB a.F.).
Der Betroffene ist selbst einwilligungsunfähig, d.h. er kann aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln § 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB (§ 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB a.F.).
Sofern der Betroffene eine Patientenverfügung errichtet hatte, muss die ärztliche Zwangsmaßnahme seinem nach § 1827 BGB (§ 1901a BGB a.F.) zu beachtenden Willen entsprechen (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB; § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB a.F.), d.h. die Maßnahme darf dem früher geäußerten Willen nicht widersprechen.
Zuvor wurde versucht, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB; § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB a.F.). Der Überzeugungsversuch muss ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Druck unternommen werden.[166]
Der erhebliche gesundheitliche Schaden ist durch keine andere den Betroffenen weniger belastende Behandlungsmaßnahme abzuwenden (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BGB; § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BGB a.F.).[167]
Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme überwiegt die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BGB; § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BGB a.F.).
Die ärztliche Zwangsmaßnahme darf ausschließlich im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung nebst einer eventuell erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt werden (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB; § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB a.F.). Somit scheiden eine ambulante Zwangsbehandlung in einem Krankenhaus sowie eine Zwangsbehandlung in einem Alten- und Pflegeheim generell aus.[168]
 

Rz. 107

Kommt eine ärztliche Zwangsmaßnahme in Betracht, kann der Betroffene unter den Voraussetzungen des § 1832 Abs. 4 BGB (§ 1906a Abs. 4 BGB a.F.) gegen seinen natürlichen Willen zu einem stationären Aufenthalt in ein Krankenhaus verbracht werden.

 

Rz. 108

Nach § 1832 Abs. 2 BGB (§ 1906a Abs. 2 BGB a.F.) bedarf die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme der Genehmigung des Betreuungsgerichts.

Auch in diesem Fall wurde mit der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts der Zusatz "Wohl des Betreuten" im Rahmen der Erforderlichkeit gestrichen, was inhaltlich, wie erörtert, ohne Bedeutung, sondern lediglich eine Distanzierung von dem bevormundenden Wesen im Betreuungswesen hin zum Prinzip der Selbstbestimmung sein sollte.[169]

Erziehungsmaßnahmen gem. § 1832 BGB sind vom Ehegattenvertretungsrecht nicht umfasst. Zum Ehegattenvertretungsrecht siehe ausführlich Rdn 251 ff.

[166] BGH NJW 2014, 2497; NJW 2014, 3301.
[167] Vgl. LG Saarbrücken NJW-RR 2016, 197.
[168] BeckOK BGB/Müller-Engels, § 1832 Rn 11 ff.
[169] Schellenbach/Normann-Scherer/Loer, BtPrax 2021, 83, 84 f.

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