Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 1
Vorsorgevollmachten dienen der Absicherung für den Fall der Geschäftsunfähigkeit. Dies belegt bereits ein Blick auf § 1814 Abs. 3 S. 1 BGB (§ 1896 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.): Durch eine Bevollmächtigung kann die Bestellung eines Betreuers vermieden und dadurch das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen gewahrt werden. Diesem Selbstbestimmungsrecht kommt im unternehmerischen Bereich eine besondere Bedeutung zu. Denn die Bestellung eines Betreuers für einen Gesellschafter kann für die Gesellschaft und die Mitgesellschafter äußerst nachteilige Konsequenzen haben.
I. Gesellschaftsrechtliche Risiken einer Betreuung
Rz. 2
Zu den unliebsamen Folgen einer Betreuung gehört, dass der Betreuer die organisatorischen Mitgliedschaftsrechte und – soweit möglich (siehe Rdn 9) – sogar Geschäftsführungsaufgaben des betreuten Mitgesellschafters wahrnimmt. Obwohl der Betreuer zum Unternehmen und den übrigen Gesellschaftern keine persönliche Beziehung hat und über keine spezifischen Fachkenntnisse verfügen muss, haben die Mitgesellschafter auf seine Auswahl keinen Einfluss. Insbesondere kann die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten durch Betreuer nicht durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden. Von Betreuungsgerichten bestellte Betreuer sind nicht selten unternehmerisch unerfahren und werden von Betreuungsrichtern ausgewählt, welche regelmäßig ebenfalls nicht über unternehmerische Erfahrung verfügen. Bei seinem Handeln innerhalb der Gesellschaft ist der Betreuer auch nicht frei; er ist kein Unternehmer sondern nach gesetzlichem Leitbild ein Vermögensverwalter, welcher bereits zur Vermeidung eigener Pflichtverletzungen riskante unternehmerische Entscheidungen nicht oder jedenfalls mit gebotener Zurückhaltung treffen wird. Denn welche Sorgfaltspflichten den Betreuer bei unternehmerischen Entscheidungen treffen, ist nicht abschließend geklärt.
Rz. 3
Für bestimmte Geschäfte bedarf der Betreuer zudem der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Zu den genehmigungsbedürftigen Geschäften gehören die Gründung von Unternehmen und der Beteiligungserwerb nach § 1852 Nr. 1 und 2 BGB (§ 1822 Nr. 3 BGB a.F.). Die Einholung der Genehmigung kann zu unliebsamen – bis hin zu existenzbedrohenden – zeitlichen Verzögerungen führen. Denn bis zur Bestellung eines Betreuers kann keine Gesellschafterversammlung einberufen werden und dennoch gefasste Beschlüsse sind nichtig. Die Einholung betreuungsgerichtlicher Genehmigungen ist zudem mit nicht unerheblichem Kosten- und vor allem Begründungsaufwand verbunden.
Rz. 4
Der aus unternehmerischer Sicht unliebsamen Bestellung eines Betreuers durch Erteilung einer umfassenden Vorsorgevollmacht zu begegnen, liegt auf der Hand. Bevor auf die Frage der Zulässigkeit von Vorsorgevollmachten eingegangen werden kann (siehe Rdn 9 ff.) ist zu klären, wann eine Vertretung durch einen Vorsorgebevollmächtigten im unternehmerischen Bereich überhaupt in Betracht kommt. Hierzu sind die gesellschaftsrechtlichen Folgen einer dauernden Geschäftsunfähigkeit zu untersuchen (siehe Rdn 5 ff.).
II. Gesellschaftsrechtliche Folgen bei Geschäftsunfähigkeit
Rz. 5
Die gesellschaftsrechtlichen Folgen einer dauernden Geschäftsunfähigkeit und die Beantwortung der Frage, ob eine Vertretung durch einen Vorsorgebevollmächtigten überhaupt in Betracht kommt, hängen davon ab, ob eine Personen- oder Kapitalgesellschaft vorliegt und ob ein Leitungsorgan (Geschäftsführer/Vorstand) oder ein Gesellschafter ohne Leitungsfunktion dauerhaft geschäftsunfähig wird. Grundsätzlich ist wie folgt zu differenzieren:
1. Geschäftsunfähige Leitungsorgane einer Kapitalgesellschaft
Rz. 6
Wird ein Geschäftsführer oder Vorstand einer Kapitalgesellschaft geschäftsunfähig, führt dies von Rechts wegen zum sofortigen Amtsverlust; einer Abberufung bedarf es nicht. Denn Geschäftsführer oder Vorstand einer Kapitalgesellschaft kann nur sein, wer unbeschränkt geschäftsfähig ist (vgl. § 6 Abs. 2 S. 1 GmbHG, § 76 Abs. 3 S. 1 AktG). Die Frage einer Vertretung von geschäftsunfähigen Leitungsorgangen durch Vorsorgebevollmächtigte stellt sich im Kapitalgesellschaftsrecht mithin nicht.