Dr. iur. Stephanie Herzog
Rz. 4
Die hier angedeutete Unterscheidung zwischen den beteiligten Rechtssubjekten und Rechtsobjekten ist zum Verständnis der Haftungsbeschränkungsinstrumentarien des deutschen Erbrechts unabdingbar:
Vor dem Erbfall standen sich die Gläubiger des Erblassers (im Folgenden: Nachlassgläubiger) und der Erblasser als Schuldner als Rechtssubjekte gegenüber. Diesen Gläubigern (Nachlassgläubigern) haftete der Erblasser mit seinem Vermögen (im Folgenden: Nachlass) als Haftungsmasse.
1. Der Erbe als Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten
Rz. 5
Mit dem Tod des Erblassers fällt dieser als Rechtssubjekt weg. Da der Nachlass – anders als etwa eine Stiftung (von Todes wegen) – keine eigene Rechtspersönlichkeit hat und auch die Miterbengemeinschaft weiterhin nicht als rechtsfähig anerkannt ist, werden der oder die Erben persönlich Schuldner der Gläubiger des Erblassers. Sie treten als Rechtssubjekte an die Stelle des Erblassers. Als Haftungssubjekt für die Nachlassgläubiger nehmen sie die Position des Schuldners der Nachlassgläubiger ein.
Dass Miterben als Gesamtschuldner haften (Rdn 3 a.E) und die Nachlassgläubiger sich damit einen von ihnen zur Inanspruchnahme aussuchen können, hat seine Ratio darin, dass sich die Nachlassgläubiger zur Begleichung ihrer Forderungen weiterhin nur an eine Person halten können sollen.
2. Das Haftungsobjekt
a) Der Nachlass als Haftungsobjekt?
Rz. 6
Haftungsobjekt ist zunächst das geerbte Vermögen, das nach § 1922 BGB auf den oder die Erben als Rechtssubjekte übergegangen ist (der Nachlass). Der Erbe muss also zunächst die bittere Pille schlucken, die "schöne Erbschaft" zur Begleichung der Schulden des Erblassers zur Verfügung stellen zu müssen.
b) Das Eigenvermögen als Haftungsobjekt? – der Erbe haftet unbeschränkt
Rz. 7
Damit aber nicht genug: Der in Lehrbüchern formelhaft daherkommende Satz, "der Erbe haftet unbeschränkt" für die Nachlassverbindlichkeiten, heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass das deutsche Erbrecht von dem Grundsatz ausgeht, dass die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten nicht per se oder gar ispo iure auf den Nachlass beschränkt ist, sondern der oder die Erben grds. auch mit ihrem privaten Vermögen (im Folgenden: Eigenvermögen) für die Schulden des Erblassers einstehen müssen.
Hinweis
Für die Nachlassgläubiger kann der Erbfall daher trotz des eben unter Rdn 2, 5 dargestellten Schuldnerwechsels zum Vorteil werden: War der Erblasser unvermögend und keine Erfüllung seiner Schulden durch ihn mehr zu erwarten, so können die Gläubiger jetzt auf das Eigenvermögen der möglicherweise vermögenden Erben zurückgreifen.
Umgekehrt mögen sich Probleme aus Sicht der Nachlassgläubiger ergeben, wenn der Erbe verschuldet ist und sich seine Eigengläubiger nunmehr begierig auf den Nachlass als neu hinzugewonnene Haftungsmasse stürzen.
Ebenfalls unglücklich ist die Situation für die Nachlassgläubiger, wenn die Erben den Nachlass verschleudert haben (zumindest dann, wenn sie auch kein hinreichendes Eigenvermögen haben, um dies abzusichern; siehe hierzu unter Rdn 15). Letztlich hätten die Gläubiger aber auch eine Insolvenz des Erblassers aus gleichem Grund nicht verhindern können.
Rz. 8
Sosehr die Erben nach einigen Erläuterungen – wenngleich oft zähneknirschend und immer den Satz "mir muss doch auch noch was bleiben" auf den Lippen – einsehen werden, dass es richtig ist, die Schulden des Erblassers aus dem Nachlass zu begleichen, so sehr werden sie sich dagegen zur Wehr setzen, dass für diese "fremden Schulden" auch ihr eigenes Vermögen angetastet, gemindert oder gar aufgezehrt werden soll. Bei Miterben stellt sich die zusätzliche Problematik, dass kaum ein Miterbe bereit sein wird – gar über seinen Anteil hinaus – die Schulden "der anderen" zu begleichen (siehe hierzu näher Rdn 16).