Rz. 16
Ist ein Unterhalt, der einen Bedarf deckt, der über dem angemessenen Bedarf liegt, unbillig?
Bei der Unbilligkeitsprüfung sind grds. zu bedenken:
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Kindeswohl |
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Vertrauensschutz |
Nacheheliche Solidarität
BGH, Beschl. v. 16.10.2019 – XII ZB 341/17 Rn 38
§ 1578b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität.
Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen.
Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien von Bedeutung, so dass der Tatrichter in seine Abwägung auch einzubeziehen hat, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und in welchem Maße der Unterhaltspflichtige – unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten – durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird. In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein (Senatsbeschlüsse vom 4.7.2018 – XII ZB 448/17, FamRZ 2018, 1506 Rn 24 und vom 8.6.2016 – XII ZB 84/15, FamRZ 2016, 1345 Rn 15 m.w.N.).
a) Wahrung der Belange der Kinder
Rz. 17
Stets gilt es, die Belange der Kinder zu wahren. Auf das Kindeswohl ist Rücksicht zu nehmen.
Im Fallbeispiel sind keine Kinder vorhanden
b) Vertrauensschutz – durch Titulierung, insb. bei Alttiteln
Rz. 18
Bei der Frage nach der Unbilligkeit ist zunächst die Art des Vertrauens des Unterhaltsschuldners zu beachten.
BGH, Urt. v. 7.3.2012 – XII ZR 179/09 Rn 27
Bereits bei der Prüfung der Unbilligkeit nach § 1578b BGB ist außerdem zu berücksichtigen, ob der Unterhaltsanspruch tituliert ist.
Denn einem titulierten oder durch Vereinbarung festgelegten Unterhalt kommt ein größerer Vertrauensschutz zu als einem nicht vertraglich festgelegten oder durch Titulierung gesicherten Anspruch.
Wie das Gesetz in § 36 Nr. 1 EGZPO klarstellt, gilt dies bei Unterhaltstiteln oder -vereinbarungen nach der bis Dezember 2007 bestehenden Rechtslage in noch stärkerem Maße. Dass dieser Gesichtspunkt in § 36 Nr. 1 EGZPO gesondert geregelt ist, hindert seine Heranziehung im Rahmen von § 1578b BGB nicht. Da die Beurteilung der Begrenzung und Befristung nach § 1578b BGB vielmehr auf einer umfassenden Interessenabwägung beruhen muss, ist die Berücksichtigung der Titulierung im Rahmen des § 1578b BGB sogar geboten. Dass damit die Zumutbarkeit nach § 36 Nr. 1 EGZPO bereits in dem insoweit umfassenderen Tatbestand des § 1578b BGB aufgeht, ist unbedenklich, weil bei einem Zusammentreffen der Abänderung eines Alttitels und einer Befristung den gesetzlichen Wertungen des § 36 Nr. 1 EGZPO bereits im Rahmen der Befristung nach § 1578b BGB in vollem Umfang Rechnung getragen ist (Urteile vom 23.11.2011 – XII ZR 47/10, FamRZ 2012, 197 Rn 32 und vom 30.6.2010 – XII ZR 9/09, FamRZ 2010, 1414 Rn 32).
Umstände für einen besonderen Vertrauensschutz liegen im Fallbeispiel nicht vor. F verlangt im Rahmen der Scheidung und damit erstmalig Geschiedenenunterhalt.
Hinweis
Der Vertrauensschutz hat insb. dann große Bedeutung, wenn im Rahmen eines Streits um die Abänderung eines Alttitels eine Begrenzung des Unterhalts verlangt wird.
Im Weiteren ist eine Unbilligkeit dann bzw. insoweit zu verneinen, als nacheheliche Solidarität geschuldet ist.
c) Nacheheliche Solidarität
Rz. 19
Im Fallbeispiel beträgt der angemessene Bedarf 1.500 EUR. F hat aus einer angemessenen Vollzeittätigkeit sogar 1.600 EUR. Ihr angemessener Bedarf ist also bereits durch ihr Eigeneinkommen gedeckt.
Der ganze errechnete Unterhalt von 720 EUR ist somit einer Herabsetzung und damit einer Herabsetzung bis auf Null theoretisch zugänglich. Kinder, deren Belange durch Beibehaltung eines Unterhalts der F evtl. zu wahren wären, sind nicht vorhanden. Umstände für einen besonderen Vertrauensschutz liegen nicht vor.
Somit beurteilt sich die Frage, ob, wann und in welcher Höhe der errechnete Unterhalt reduziert werden kann, allein nach der etwa gebotenen nachehelichen Solidarität (fortwirkende Verantwortung des Ehegatten).
aa) Trennung ehebedingter Nachteil/nacheheliche Solidarität
Rz. 20
Die nacheheliche Solidarität ist – neben dem ehebedingten Nachteil – ein gesonderter Aspekt im Rahmen der Billigkeitsabwägung.
BGH, Urt. v. 7.3.2012 – XII ZR 145/09 Rn 39
Der Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität erfasst … andere Umstände, die unabhängig von ehebedingten Nachteilen Auswirkungen auf den konkreten Unterhaltsanspruch haben.
Dies gilt auch beim Aufstockungsunterhalt:
BGH, Beschl. v. 16.10.2019 – XII ZB 341/17 Rn 38
§ 1578b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die Kompensation ehebedingter Nacht...