Rz. 19

Im Fallbeispiel beträgt der angemessene Bedarf 1.500 EUR. F hat aus einer angemessenen Vollzeittätigkeit sogar 1.600 EUR. Ihr angemessener Bedarf ist also bereits durch ihr Eigeneinkommen gedeckt.

Der ganze errechnete Unterhalt von 720 EUR ist somit einer Herabsetzung und damit einer Herabsetzung bis auf Null theoretisch zugänglich. Kinder, deren Belange durch Beibehaltung eines Unterhalts der F evtl. zu wahren wären, sind nicht vorhanden. Umstände für einen besonderen Vertrauensschutz liegen nicht vor.

Somit beurteilt sich die Frage, ob, wann und in welcher Höhe der errechnete Unterhalt reduziert werden kann, allein nach der etwa gebotenen nachehelichen Solidarität (fortwirkende Verantwortung des Ehegatten).

aa) Trennung ehebedingter Nachteil/nacheheliche Solidarität

 

Rz. 20

Die nacheheliche Solidarität ist – neben dem ehebedingten Nachteil – ein gesonderter Aspekt im Rahmen der Billigkeitsabwägung.

 

BGH, Urt. v. 7.3.2012 – XII ZR 145/09 Rn 39

Der Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität erfasst … andere Umstände, die unabhängig von ehebedingten Nachteilen Auswirkungen auf den konkreten Unterhaltsanspruch haben.

Dies gilt auch beim Aufstockungsunterhalt:

 

BGH, Beschl. v. 16.10.2019 – XII ZB 341/17 Rn 38

§ 1578b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität.

 

BGH, Urt. v. 21.9.2011 – XII ZR 121/09

Die bei der Befristung und Herabsetzung des Unterhalts anzustellende Billigkeitsabwägung beschränkt sich überdies nicht auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile, sondern hat darüber hinaus die vom Gesetz geforderte nacheheliche Solidarität zu berücksichtigen.

Das gilt nicht nur für die Unterhaltstatbestände, die – wie der Alters- oder Krankheitsunterhalt nach §§ 1571, 1572 BGB – bereits ihre Begründung in der nachehelichen Solidarität finden, sondern auch für den Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB (Urt. v. 8.6.2011 – XII ZR 17/09, FamRZ 2011, 1381 Rn 34).

bb) Die wesentlichen Aspekte der nachehelichen Solidarität

 

Rz. 21

Wesentliche Aspekte bei der Frage, ob auch nach der Ehe aus Gründen der Solidarität ein Unterhalt geschuldet ist, mit dem die Unterhaltsberechtigte mehr hat, als zur Deckung ihres – lediglich – angemessenen Bedarfs notwendig ist.[2]

Ehedauer

Ehedauer isoliert (aber: allein 20 Jahre Ehedauer rechtfertigen bspw. noch kein Absehen von einer Herabsetzung)

Wirtschaftliche Verflechtung, insb.

durch Aufgabe eigener Erwerbstätigkeit

  • wegen Kinderbetreuung
  • wegen Haushaltsführung
durch Lebensleistung der Unterhaltsberechtigten
Ehedauer und wirtschaftliche Verflechtung in Kombination
(Nicht schicksalhafte) Rollenverteilung, die in der Ehe gelebt wurde

Wirtschaftliche Verhältnisse der Beteiligten

Angewiesensein auf Unterhalt (insb. Eigeneinkommen über Existenzminimum?)
Belastung durch Unterhaltszahlung (allgemein; bei weiteren, auch nachrangigen Unterhaltspflichten; Zweitehe und deren Dauer)
Dauer der Trennungsunterhaltszahlung
"Ehebedingter Vorteil": Beitrag der Unterhaltsberechtigten zu beruflichem Aufstieg und Einkommenssteigerung des Unterhaltspflichtigen ("Karriere durch sie" = "ehebedingter Vorteil")
Krankheit der Unterhaltsberechtigten

Vertrauen der Unterhaltsberechtigten in Fortbestand der Unterhaltspflicht

Vertrauen infolge Titulierung oder Vereinbarung
(Besonderes) Vertrauen infolge Titulierung oder Vereinbarung nach altem Recht (vor 1.1.2008), § 36 Nr. 1 EGZPO

cc) Einzelne Entscheidungen zu Fragen der nachehelichen Solidarität

(1) Ehedauer isoliert ("allein 20 Jahre reichen nicht")

 

Rz. 22

 

BGH, Beschl. v. 19.6.2013 – XII ZB 309/11 Rn 26 = BeckRS 2013, 11682

Im Ausgangspunkt zutreffend ist allerdings die Ansicht des Beschwerdegerichts, dass es unter den obwaltenden Umständen die lange Ehedauer von rund zwanzig Jahren nicht allein rechtfertigt, aus Billigkeitsgründen von einer Begrenzung des Unterhalts abzusehen.

Die bloße Ehedauer ist kaum geeignet, nacheheliche Solidarität einzufordern.

 

BGH, Urt. v. 20.3.2013 – XII ZR 72/11 Rn 35 = BeckRS 2013, 06777

Weiterhin rechtfertigt eine lange Ehedauer für sich genommen insbesondere dann keinen fortdauernden Unterhalt nach den – die eigene Lebensstellung übersteigenden – ehelichen Lebensverhältnissen, wenn beide Ehegatten während der Ehe vollschichtig berufstätig waren und die Einkommensdifferenz lediglich auf ein unterschiedliches Qualifikationsniveau zurückzuführen ist, das bereits zu Beginn der Ehe vorlag (vgl. Senatsurteil vom 6.10.2010 – XII ZR 202/08, FamRZ 2010, 1971 Rn 21).

Eine 33-jährige Hausfrauenehe hat zwar erhebliches Gewicht bei der Billigkeitsabwägung; aber eine solche Ehedauer steht einer Herabsetzung oder Befristung nicht zwingend entgegen.

 

BGH, Beschl. v. 20.3.2013 – XII ZB 72/11 Rn 37 = BeckRS 2013, 06777

Im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1578b BGB wird der Ehedauer (Anm.: 33 Jahre) im vorliegenden Fall ein erhebliches Gewicht beizumessen sein, weil sich die Beklagte während der mehr als dreiunddreißig Jahre währenden Ehezeit nach Lage der Dinge allein um die Führung des Haushalts und um die Betreuung der beiden Kinder gekümmert haben dürfte.

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