Rz. 75
F verlangt von M nachehelichen Unterhalt. M hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von 3.200 EUR. F hat aus einer (angemessenen) Halbtagstätigkeit ein bereinigtes Nettoeinkommen von 800 EUR. Im Übrigen besteht ein Erwerbshindernis wegen Krankheit (§ 1572 BGB). F erhält eine (halbe) Erwerbsminderungsrente in Höhe von 250 EUR. Bei einer Vollzeittätigkeit würde F 1.400 EUR netto verdienen. F hat während der Ehe vorübergehend ihre frühere Erwerbstätigkeit aufgegeben. F würde ohne Eheschließung und ohne Erkrankung heute 1.600 EUR netto verdienen und ihre (halbe) Erwerbsminderungsrente betrüge 350 EUR. M möchte eine Begrenzung des Unterhalts.
I. Anspruchsgrundlage
Rz. 76
Es kommen hier Teilansprüche wegen Krankheits- und Aufstockungsunterhalt in Betracht. Allgemein zum Ehegattenunterhalt siehe Fälle 15 und 16, § 3 Rdn 1 ff.
§ 1572 Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen
Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, solange und soweit von ihm vom Zeitpunkt
1. |
der Scheidung, |
2. |
der Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, |
3. |
der Beendigung der Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung oder |
4. |
des Wegfalls der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach § 1573 |
an wegen Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann.
BGH, Beschl. v. 26.2.2014 – XII ZB 235/12 Rn 10
Der Senat unterscheidet in ständiger Rechtsprechung für die Abgrenzung der Anspruchsgrundlagen wegen eines Erwerbshindernisses aus §§ 1570 bis 1572 BGB und aus § 1573 Abs. 2 BGB (Aufstockungsunterhalt) danach, ob wegen des vorliegenden Hindernisses eine Erwerbstätigkeit vollständig oder nur zum Teil ausgeschlossen ist.
Wenn der Unterhaltsberechtigte an einer Erwerbstätigkeit vollständig gehindert ist, ergibt sich der Unterhaltsanspruch allein aus §§ 1570 bis 1572 BGB, und zwar auch für den Teil des Unterhaltsbedarfs, der nicht durch das Erwerbshindernis verursacht worden ist, sondern auf dem den angemessenen Lebensbedarf übersteigenden Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB beruht.
Bei einer – wie hier – lediglich teilweisen Erwerbshinderung ist der Unterhalt allein wegen des durch die Erwerbshinderung verursachten Einkommensausfalls auf §§ 1570 bis 1572 BGB zu stützen und im Übrigen auf § 1573 Abs. 2 BGB (Senatsurteile BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Rn 20 und vom 21.4.2010 – XII ZR 134/08, FamRZ 2010, 1050 Rn 41).
Übersicht zu den Teilansprüchen:
Die Unterhaltsberechtigte übt eine vollschichtige angemessene Erwerbstätigkeit aus oder aber könnte diese ausüben:
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nur Aufstockungsunterhalt |
Die Unterhaltsberechtigte übt keine Erwerbstätigkeit aus und kann eine solche auch nicht ausüben, die Unterhaltsberechtigte ist aus den in § 1572 genannten Gründen also vollständig an einer Erwerbstätigkeit gehindert:
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nur Krankheitsunterhalt |
Die Unterhaltsberechtigte ist aus den in § 1573 genannten Gründen nur teilweise an einer Erwerbstätigkeit gehindert:
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Differenz zwischen tatsächlichem Teilzeiteinkommen und (fiktivem) Einkommen bei Vollzeiteinkommen: Krankheitsunterhalt |
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Verbleibende Differenz zwischen Eigeneinkommen und Krankheitsunterhalt einerseits und Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen andererseits: Aufstockungsunterhalt. |
II. Bedarf der F
Rz. 77
Der Bedarf bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Es gilt der Halbteilungsgrundsatz.
Unter Berücksichtigung des 10 %igen Erwerbstätigenbonus betragen das bedarfsbestimmende Einkommen des M 2.880 EUR (3.200 – 320 EUR), das bedarfsbestimmende Einkommen der F 970 EUR (800 – 80 + 250 EUR).
Der Gesamtbedarf von M und F beläuft sich somit auf 3.850 EUR (2880 + 970 EUR).
Der Halbanteil und damit der Einzelbedarf beträgt somit 1.925 EUR.
III. Bedürftigkeit der F
Rz. 78
F kann ihren ermittelten Bedarf von 1.925 EUR in Höhe von 970 EUR durch Eigeneinkommen decken. Weiteres, nicht eheprägendes Einkommen ist nicht hinzugekommen.
Es verbleibt somit ein ungedeckter Bedarf in Höhe von 955 EUR (1.925 – 970 EUR).
IV. Leistungsfähigkeit des M
Rz. 79
M ist für seine Leistungsunfähigkeit darlegungs- und beweispflichtig. Eine Leistungsunfähigkeit ist aber auch nicht ersichtlich, weil M nach Zahlung von 955 EUR Unterhalt noch 2.245 EUR verbleiben, also mehr als der Ehegattenmindestselbstbehalt von 1.280 EUR.
V. Sonderfragen, insb. Herabsetzung und Befristung
Rz. 80
Neben bspw. Verwirkung, Verzug, Mangelverteilung und Rangfragen sind an letzter Stelle – abgesehen von einer abschließenden allgemeinen Angemessenheitsprüfung – die Herabsetzung und Befristung des Unterhalts (§ 1578b BGB) zu prüfen.
Es stellt sich die Frage: ist die Fortdauer eines Unterhaltsanspruchs von 955 EUR unbillig i.S.v. § 1578b BGB?
1. Grundsatz der Eigenverantwortung als Ausgangspunkt, Inhalt und Anwendungsbereich des § 1578b BGB
Rz. 81
Vgl. hierzu den Fall 58, Rdn 7 ff.
2. Prüfungsreihenfolge: Herabsetzung vor Befristung
Rz. 82
Zunächst ist die Herabsetzung zu prüfen, vgl. den Fall 58, Rdn 10 ff.
3. Herabsetzung nach § 1578b Abs. 1
Rz. 83
Mögliches Ziel der Herabsetzung: angemessener Bedarf.
4. Herabsetzung bis auf den angemessenen Bedarf?
a) Deckung des angemessenen Bedarfs kompensiert ehebedingte Nachteile
Rz. 84
D.h.: F soll nur noch so viel Unterhalt erhalten, dass der Unterhalt zusammen mit Eigeneinkommen nur noch den angemessenen Bedarf – nicht mehr den eheangemessenen Bedarf – deckt.
Angemessener Bedarf: das, was di...