A. Interessenlage bei geschiedenen Ehepartnern
Rz. 1
Haben geschiedene Ehepartner gemeinsame Abkömmlinge, dann besteht die Möglichkeit, dass ein Ehepartner über sein gesetzliches Erbrecht zu den Abkömmlingen am Nachlass des geschiedenen Ehepartners partizipiert. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn der gemeinsame Abkömmling wiederum ohne Abkömmlinge nach dem Ableben eines Ehepartners verstirbt. Haben die Kinder keine Abkömmlinge hinterlassen, aber zugunsten eines Ehepartners testiert, besteht darüber hinaus auch ein Pflichtteilsrecht der geschiedene Ehepartner. Für die Gestaltung eines Testaments geschiedener Ehepartner bestehen zwei grundsätzlichen Lösungsansätzen. Zum einen wird die sog. Vor- und Nacherbschaft in verschiedenen Ausgestaltungen diskutiert. Zum anderen wird vorgeschlagen, über ein sog. Herausgabevermächtnis das Vermögen des erstversterbenden Ehepartners aus dem Nachlass des verstorbenen Abkömmlings herauszuziehen.
B. Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft
Rz. 2
Durch die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft wird grundsätzlich verhindert, dass das Vermögen des vorverstorbenen geschiedenen Ehepartners beim Ableben des gemeinsamen Abkömmlings zum anderen Elternteil und dessen Verwandtschaft abfließt. Die Anordnung der Vor- und Nacherbfolge führt zu einer strengen Bindung des Vermögens, die es dem Abkömmling auch nicht ermöglicht, hierüber letztwillige Verfügungen zu treffen.
Rz. 3
Die Nacherben werden dabei bereits vom geschiedenen Elternteil bestimmt. In der Regel wird dieser die Abkömmlinge seiner Kinder und ersatzweise seine Verwandtschaftslinie bestimmen. Der geschiedene Ehepartner und dessen Verwandtschaft sollten für alle Fälle einer vermuteten oder konkludenten Ersatzerbennachfolge ausgeschlossen werden. Die Vorerbschaft wird dann auch nicht in den Aktiva des Nachlasses des Abkömmlings berücksichtigt, wenn dem geschiedenen Ehepartner hieran Pflichtteilsansprüche zustehen.
Rz. 4
Andererseits wird der Abkömmling durch die bereits bestimmte Nacherbfolge – auch wenn er befreiter Vorerbe ist, gebunden. Um die eigenen Abkömmlinge nicht unnötig zu binden und ihnen weitest gehende Testierfreiheit auch im Hinblick auf das vom verstorbenen Elternteil überlassene Vermögen einzuräumen, hat Dieterle vorgeschlagen, dass diejenigen Personen Nacherben sein sollen, die der Vorerbe selbst zu Erben seines eigenen Vermögens bestimmt. Die Anordnung der Nacherben sollte so offengelassen und den Vorerben selbst überlassen werden. Bei dieser sog. Dieterle-Klausel war und ist umstritten, ob sie einen Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB darstellt. Während die überwiegende Meinung in der Literatur dies grundsätzlich als zulässig erachtet hat und einen Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB verneinte, vertritt das OLG Frankfurt die Auffassung, dass eine solche Bestimmung wegen Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB unwirksam sei.
Bei der Gestaltung eines Testaments geschiedener Ehepartner sollte daher bis zu einer endgültigen Klärung von einer solchen Formulierung Abstand genommen werden (vgl. hierzu auch § 11 Rdn 12 und § 10 Rdn 37).
Rz. 5
Als grundsätzlich zulässig erachtet wird aber die Gestaltung, dass der Erblasser bereits bestimmte Nacherben unter der auflösenden bzw. aufschiebenden Bedingung einsetzt, dass der Vorerbe hinsichtlich seines Eigenvermögens nicht anderweitig testamentarisch verfügt. Trifft der Vorerbe dann zugunsten eines anderen Personenkreises eine letztwillige Verfügung, so führt dies dazu, dass die bedingte Vorerbschaft zu einer Vollerbschaft wird. Der Nachteil dieser Lösung ist allerdings, dass, sofern ein Pflichtteilsrecht des geschiedenen Ehepartners besteht, das Vermögen des erstversterbenden Ehepartners für die Pflichtteilsberechnung des geschiedenen Ehepartners herangezogen wird. Entscheidet man sich trotz dieses angesprochenen Nachteils für die auflösend bzw. aufschiebend bedingte Nacherbfolge, so sollte in jedem Fall darauf geachtet werden, dass die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts gemäß § 2108 Abs. 2 BGB ausgeschlossen wird.
Rz. 6
Um die Bindung des eigenen Abkömmlings als Vorerben so gering wie möglich zu halten, sollte daher in jedem Fall auch eine befreite Vorerbschaft angeordnet werden. Ferner kann die Nacherbfolge unter verschiedenen auflösenden Bedingungen angeordnet werden, die nicht vom Verhalten des Abkömmlings abhängig sind und bei denen die oben angesprochene Problematik des § 2065 Abs. 2 BGB nicht besteht.
Rz. 7
Muster 20.1: Geschiedenentestament mit auflösend bedingter Nacherbfolge
Muster 20.1: Geschiedenentestament mit auflösend bedingter Nacherbfolge
Zu meinen alleinigen Erben meines gesamten Vermögens bestimme ich meine Tochter _...