Dr. iur. Olaf Schermann, Walter Krug
Rz. 24
Das Prinzip des Vonselbsterwerbs in § 1922 Abs. 1 BGB sieht den nahtlosen Übergang aller aktiven und passiven Vermögenswerte des Erblassers auf den Erben vor und bestimmt in § 1967 Abs. 1 BGB klarstellend, dass der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten haftet. Das Gesetz regelt die Erbenhaftung am Beispiel des Alleinerben und ergänzt diese Regelungen mit wenigen Vorschriften zur Haftung der Erbenmehrheit (§§ 2058–2063 BGB). Außerdem geht das Gesetz davon aus, dass alle Nachlassverbindlichkeiten Geldschulden sind. So werden bspw. Unterlassungsverpflichtungen gar nicht angesprochen.
Nach dem Erbfall treten die widerstreitenden Interessen von zumindest drei Gruppen ins Blickfeld:
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Die Gläubiger des Erblassers (sog. Nachlassgläubiger) sind daran interessiert, den Aktivnachlass wie bisher als Haftungsgrundlage für sich zu erhalten und dass die schon vor dem Erbfall vorhandenen Gläubiger des Erben nicht auf dieses Vermögen zugreifen. |
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Die Gläubiger des Erben (sog. Eigengläubiger) wollen ihrerseits das dem Erben bisher schon gehörende Vermögen als ihre Haftungsgrundlage erhalten; die Gläubiger des Erblassers sollen darauf nicht zugreifen können. |
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Der Erbe möchte für Nachlassverbindlichkeiten nur mit dem Nachlass haften und nicht auch mit seinem eigenen Vermögen, andernfalls müsste er für die Schuld eines Dritten, des Erblassers, einstehen. |
Rz. 25
Da der Erbe mit dem Erbfall Rechtsinhaber der Vermögensmasse "Nachlass" wurde, befinden sich nunmehr zwei Vermögensmassen, nämlich sein bisheriges Eigenvermögen und der Nachlass, in einer Hand. Die Rechte der Nachlassgläubiger sind deshalb besonders gefährdet,
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weil der Erbe jederzeit eine tatsächliche Vermischung der Vermögensmassen herbeiführen kann, so dass für die Nachlassgläubiger nicht mehr feststellbar ist, welche Vermögensgegenstände ihnen bisher als Haftungsgrundlage gedient haben, und |
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weil Eigengläubiger des Erben auf den Nachlass Zugriff nehmen können, ohne dass ihnen vor dem Erbfall diese Vermögensmasse gehaftet hätte. |
Rz. 26
An dieser Stelle setzt das Gesetz an: Will der Erbe der unbeschränkten Haftung für eine Nachlassverbindlichkeit entgehen, so muss er die rein tatsächliche Trennung der beiden Vermögensmassen beibehalten bzw. herbeiführen (sog. Gütersonderung).
Rz. 27
Ausblick auf das Recht der Erbengemeinschaft:
Kraft der gesamthänderischen Bindung des Nachlasses in der Erbengemeinschaft besteht dort bis zur Erbteilung eine strenge Trennung zwischen Eigenvermögen der Erben einerseits und Nachlass andererseits. Dies hat selbstverständlich Auswirkungen auf die Haftungssituation bei bestehender Erbenmehrheit (zur Erbenhaftung der Miterben siehe unten Rdn 315 ff.). Solange die Erbengemeinschaft nicht auseinandergesetzt ist, kann jeder Miterbe einem Nachlassgläubiger gegenüber die Erfüllung seiner Verbindlichkeit aus dem Eigenvermögen verweigern mit der "Einrede des ungeteilten Nachlasses", § 2059 Abs. 1 BGB.