Rz. 19
Literatur zu Toleranzstrecken: Weigel, "Richtlinien der Bundesländer", DAR 2017, 222.
Wenn auch die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit jeweils ab Beginn des Begrenzungsschildes gilt, schreiben die jeweiligen Landespolizeirichtlinien, da Polizei Ländersache ist, von Land zu Land unterschiedliche Toleranzstrecken vor, in denen Geschwindigkeitsmessungen nicht durchgeführt werden sollen. Existieren (wie z.B. im Saarland oder in Baden-Württemberg solche Richtlinien nicht, muss der bei der Messung einzuhaltende Abstand einzelfallbezogen bestimmt werden (OLG Karlsruhe zfs 2018, 353).
Praxistipp
In der Regel sehen die jeweiligen Richtlinien vor, dass erst ab 150 bis 200 m nach Beginn einer Geschwindigkeitsbeschränkung gemessen werden soll (OLG Dresden NZV 2006, 110; OLG Bamberg DAR 2006, 464; OLG Celle NZV 2012, 254).
Die vorgesehenen Mindestentfernungen können jedoch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes (z.B. besondere Gefahrenstellen wie Kindergärten etc.) unterschritten werden (OLG Brandenburg DAR 2006, 464; OLG Celle DAR 2011, 597; OLG Celle NZV 2012, 254; OLG Bamberg DAR 2012, 528; OLG Bamberg NZV 2013, 52).
Es ist allerdings nicht Aufgabe des Richters zu überprüfen, ob der Standort des Verkehrszeichens sinnvoll war. Verkehrszeichen sind nämlich Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen und sind – außer im Fall ihrer Nichtigkeit, die nur bei Willkür, Sinnwidrigkeit oder bei objektiver Unklarheit vorliegt – zu beachten (OLG Celle DAR 2011, 597).
Rz. 20
Ob auch für die unmittelbar vor dem Ortsausgang liegende Strecke eine Messtoleranz gewährt wird, ist umstritten (ablehnend: OLG Oldenburg zfs 1996, 396 sowie OLG Stuttgart DAR 2011, 599, das seine früher bejahende Auffassung, DAR 2011, 220, unter Hinweis auf die zwischenzeitlich geänderten Toleranzrichtlinien wieder aufgegeben hat; befürwortet dagegen von OLG Bamberg DAR 2012, 528).
Rz. 21
Die Richtlinien sind zwar lediglich innerdienstliche Vorschriften, sie sichern aber auch die Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer in vergleichbaren Kontrollsituationen, indem sie für alle mit der Verkehrsüberwachung betrauten Beamten verbindlich sind (OLG Oldenburg NZV 1994, 286; BayObLG NZV 1995, 496; OLG Dresden DAR 2010, 29).
Rz. 22
Tipp: Gleichbehandlungsgrundsatz
Ist die Messung unter Missachtung der Richtlinien durchgeführt worden, besteht zwar kein Beweisverwertungsverbot (OLG Celle NZV 2012, 253; OLG Frankfurt zfs 2015, 653; DAR 2016, 395). Allerdings kann der Gleichbehandlungsgrundsatz (BayObLG NStZ – RR 2003, 345; OLG Stuttgart DAR 2011, 220) eine Reduzierung der Geldbuße oder den Wegfall des Fahrverbotes (OLG Oldenburg zfs 2014, 353; OLG Frankfurt DAR 2016, 395) oder gar die Einstellung des Verfahrens (OLG Stuttgart DAR 2011, 220; OLG Celle NZV 2012, 253) rechtfertigen.