1. Verwaltungsakte
Rz. 25
Verkehrszeichen sind Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen und als solche – mit der sehr seltenen Ausnahme ihrer Nichtigkeit wie z.B. im Falle eines ohne verkehrsrechtliche Anordnung der zuständigen Behörde von Privaten aufgestellten Verkehrsschildes (OVG NRW zfs 2007, 56; VGH Mannheim DAR 2010, 537) – grundsätzlich zu beachten, auch dann, wenn sie rechtswidrig sind (BVerwG VRS 48, 381; OLG Düsseldorf DAR 1999, 82; OLG Celle DAR 2011, 597; OLG Hamm DAR 2014, 596).
So sind z.B. ein oder mehrere Verkehrszeichen auch dann wirksam, wenn sie auf einer gemeinsamen Tafelfläche angebracht sind und im Übrigen nach Inhalt und Gestaltung der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung entsprechen (BayObLG DAR 2000, 282).
2. Nichtiger Verwaltungsakt
Rz. 26
Nichtigkeit ist die seltene Ausnahme, sie kann aber dann vorliegen, wenn Verkehrszeichen nicht oder nur unzureichend zu erkennen sind. Verkehrszeichen müssen nämlich so angebracht sein, dass der Kraftfahrer ihre Bedeutung mit nur einem beiläufigen Blick erfassen kann (BVerwG DAR 2008, 656; OLG Jena DAR 2011, 37). Deshalb sind Verkehrszeichen, die teilweise (z.B. durch Zweige) verdeckt und deshalb in ihrer leichten Erkennbarkeit beeinträchtigt sind, unwirksam (OLG Stuttgart VRS 95, 441; OVG Münster NZV 2005, 335; OLG Hamm zfs 2011, 107).
Nichtigkeit kann auch bei einem Ampeldefekt oder bei Fehlen eines die Geschwindigkeitsbeschränkung aufhebenden Schildes vorliegen.
Insbesondere auf Autobahnen kommt es hin und wieder vor, dass ein solches Schild nach der Baustelle vergessen wurde oder nicht mehr vorhanden ist. Dies wird sicherlich auf einer Strecke von mehreren 100 m noch nicht der Fall sein, von Nichtigkeit wird man frühestens nach einer längeren Wegstrecke, deren Bestimmung von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ausgehen können.
Entsprechendes gilt für scheinbar defekte Ampeln, bei denen man selbst nach einer Rotlichtzeit von 3 Minuten noch nicht von Nichtigkeit ausgehen kann, selbst wenn sich später herausstellte, dass die Ampel tatsächlich defekt war (OLG Hamm NZV 2000, 52).
3. Rechtswidrige oder unsinnige Verkehrszeichen
Rz. 27
Da das Verkehrsgeschehen klar und eindeutig geregelt sein muss, kann es nicht einzelnen Kraftfahrern überlassen werden, ob sie Verkehrszeichen als rechtswidrig oder sinnlos beurteilen und deshalb meinen, ihnen keine Folge leisten zu müssen. Vielmehr kann der Betroffene ein solches von ihm als rechtwidrig oder unsinnig angesehenes Verkehrszeichen nur im Verwaltungsrechtsweg anfechten. Das im Verkehrsschild verkörperte Gebot hat er jedoch zu achten (OLG Celle DAR 2011, 597), wenn auch eine unzweckmäßige oder gar irreführende Gestaltung (s. nachfolgend Rdn 34 ff.) das Verschulden, wenn nicht gar entfallen lassen, zumindest mindern wird (OLG Jena DAR 2011, 37).
Rz. 28
Tipp: Überprüfbarkeit von Geschwindigkeitsbeschränkungen
Klagebefugt ist jeder von der Anordnung betroffene Verkehrsteilnehmer. Seine Klagebefugnis setzt nicht voraus, dass er in einer gewissen Regelmäßigkeit oder Nachhaltigkeit von dem angegriffenen Verkehrszeichen betroffen ist (BVerwG zfs 2004, 139). Die Anfechtung muss zwar binnen eines Jahres nach der durch das Verkehrszeichen bekannt gegebenen Anordnung erfolgen, die Anfechtungsfrist beginnt für einen Verkehrsteilnehmer jedoch erst, wenn er selbst zum ersten Mal in die entsprechend geregelte örtliche Verkehrssituation gerät (BVerwG zfs 2010, 52; BVerwG zfs 2011, 53; BayVGH zfs 2010, 56).
Ein anfechtbarer Verwaltungsakt liegt allerdings erst in der Aufstellung der Schilder und nicht bereits in der Anordnung der Straßenverkehrsbehörde (Nds. OVG zfs 2017, 660).
Rz. 29
Die Anordnung von Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Bundesautobahnen ist übrigens nur dann rechtmäßig, wenn sie bestimmte Anforderungen erfüllt (§ 45 Abs. 9 StVO), im Streitfall hat die Behörde die Beweislast dafür, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung sinnvoll ist (BVerwG DAR 1999, 184; OVG Münster NZV 2019, 487). Es ist vor allem nicht Aufgabe des Richters zu überprüfen, ob der Standort eines Verkehrszeichens sinnvoll ist; Verkehrszeichen sind, außer im Falle ihrer Nichtigkeit, die nur bei Willkür, Sinnwidrigkeit oder objektiver Unklarheit vorliegt, zu beachten (OLG Celle DAR 2011, 597).
4. Überraschend auftauchende Verkehrszeichen
Rz. 30
Der Kraftfahrer muss die Chance haben, sich rechtzeitig auf eine Geschwindigkeitsbeschränkung einstellen zu können. Wenn ein Verkehrsschild nicht bereits nichtig und damit unbeachtlich ist (siehe Rdn 26), kann einem Fahrzeugführer zumindest dann kein Vorwurf in straf- oder bußgeldrechtlicher Hinsicht gemacht werden, wenn er von einer Geschwindigkeitsbeschränkung überrascht wird und deshalb erst zu spät oder gar nicht seine Geschwindigkeit reduziert (OLG Frankfurt DAR 1969, 137; OLG Stuttgart VRS 95, 441). So braucht z.B. ein Kraftfahrer nicht damit zu rechnen, dass auf einer dreispurig autobahnähnlich ausgebauten Landstraße die Geschwindigkeit plötzlich auf 70 km/h reduziert wird, wenn hierfür keine Gründe, wie z.B. Baustelle oder schadhafte Fahrbahn zu erkennen sind (OLG Karlsruhe NZV 2006, 325).
Rz. 31
Dies gilt vor allem auf Autobahnen...