Rz. 91
Ein Betriebsübergang i.S.v. § 613a BGB liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit (Betrieb oder Betriebsteil) unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Aus dem Erfordernis eines Wechsels des Rechtsträgers folgt zunächst, dass der Anwendungsbereich des Betriebsübergangs nicht berührt ist, wenn ein Joint Venture-Partner lediglich eine Beteiligung an einer Gesellschaft in das Joint Venture einbringt. Für die Arbeitnehmer der eingebrachten Gesellschaft kommt es hier zu keinem Arbeitgeberwechsel.
Dagegen kann § 613a BGB einschlägig sein, wenn ein Partner Betriebsmittel (Anlagevermögen, Umlaufvermögen, Vertragsverhältnisse etc.) und/oder das "nach Zahl und Sachkunde" wesentliche Personal im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf das Joint Venture überträgt. Dasselbe gilt in derartigen Fällen aufgrund der Rechtsgrundverweisung des § 35a Abs. 2 UmwG für Umwandlungsmaßnahmen (bei der Gründung eines Joint Ventures kommen insb. Verschmelzung, Abspaltung und Ausgliederung in Betracht).
Rz. 92
Hinzutreten muss der (im Wesentlichen unveränderte) Fortbestand des Betriebes/Teilbetriebes bei dem neuen Inhaber. Unter welchen Umständen einzelne Betriebsmittel oder eine Personengesamtheit einen Betrieb oder Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB bilden, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist der Übergang des "eigentlichen Kerns des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs". Hierzu haben EuGH und BAG eine verzweigte Kasuistik entwickelt. Zu den maßgeblichen Tatsachen zählen insb.
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die Art des betreffenden Betriebes, |
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der Übergang der materiellen Betriebsmittel, wie Gebäude und bewegliche Güter sowie deren Wert und Bedeutung, |
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die Übernahme der immateriellen Betriebsmittel und der vorhandenen Organisation, der Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des bisherigen Inhabers, |
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in betriebsmittelarmen Betrieben die Weiterbeschäftigung der Hauptbelegschaft, |
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der Übergang von Kundschaft und Lieferantenbeziehungen sowie |
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die Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Betriebstätigkeit. |
Rz. 93
Für den Fall eines Betriebsübergangs enthält § 613a Abs. 4 BGB ein Kündigungsverbot. Es ist unzulässig, das Arbeitsverhältnis ausschließlich wegen eines Betriebsübergangs zu kündigen. Damit sind aber keine sachlich begründeten Kündigungen anlässlich eines Betriebsübergangs ausgeschlossen. Führt bspw. der Betriebsübergang zu einem Überhang an Arbeitskräften, kann sowohl das Joint Venture als Betriebserwerber als auch – mit Blick auf das unternehmerische Konzept des Joint Ventures – der den Betrieb veräußernde Partner betriebsbedingt kündigen (sobald das Konzept "greifbare Formen" angenommen hat).
Rz. 94
§ 613a Abs. 5 und Abs. 6 BGB regeln die Informations- und Widerspruchsrechte der von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer. Sie sind vom bisherigen oder neuen Arbeitgeber noch vor dem Betriebsübergang über dessen wesentliche Umstände in Textform zu informieren. Die Rspr. hat einzelfallbezogen wiederholt Informationsschreiben als unvollständig verworfen, weil darin die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen und Risiken eines Betriebsübergangs nicht hinreichend beschrieben worden seien. Die Praxis reagiert verunsichert mit sehr ausführlichen Informationsschreiben, die zuweilen die Gefahr bergen, einen durchschnittlichen Arbeitnehmer nach Umfang und Inhalt zu überfordern.
Die Arbeitnehmer haben das Recht, innerhalb eines Monats nach Zugang einer vollständigen und zutreffenden Unterrichtung dem Betriebsübergang zu widersprechen. Sie können damit den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses verhindern.
Hinweis
Auch wenn § 613a BGB kraft Gesetzes eingreift, sind detaillierte vertragliche Vereinbarungen der Joint Venture-Partner zum Betriebsübergang unerlässlich. Das beginnt bei der Festlegung, welche Partei im Innenverhältnis für die korrekte Information der betroffenen Arbeitnehmer verantwortlich zeichnet. Zudem sollten die Partner die Konsequenzen klären, falls sich andere Arbeitnehmer eines Partners erfolgreich auf § 613a BGB berufen als bei der Gründung des Joint Ventures offengelegt. Für den umgekehrten Fall von Arbeitnehmern, die ihrem Übergang widersprechen, ist festzulegen, wer die mit ihrer Beschäftigung bzw. Kündigung verbundenen Kosten trägt.