Rz. 22

Während der Katalog der versicherten Sachen umschreibt, deren Beschädigung und Zerstörungen eine der Voraussetzungen für die Gewährung des Versicherungsschutzes ist, beantwortet die Darstellung der versicherten Gefahren die Frage, welche Einwirkungen auf die versicherte Sachen eine weitere Voraussetzung für die Deckungspflicht der Bauwesenversicherung sind. Die Bezeichnung der Bauwesenversicherung als "Allgefahrenversicherung" legt es nahe, davon auszugehen, dass alle zu Beschädigungen oder Zerstörungen der versicherten Sachen führenden Umstände gedeckt sind. Das wäre deshalb verfehlt, weil zum einen aus den unterschiedlichsten Gründen durchaus häufige Schäden an versicherten Sachen, wie das Diebstahlsrisiko (siehe dazu Rdn 29) Schäden aufgrund unzulässiger Bauprodukte (siehe Rdn 34), Witterungseinflüssen (siehe Rdn 31), politische Risiken (siehe Rdn 35) und Kernenergie (siehe Rdn 36) ausgeschlossen sind. Weitere bedeutsame Ausschlüsse ergeben sich aus der grundsätzlich fehlenden Deckungsmöglichkeit des Feuerrisikos (siehe Rdn 3) und der Versagung der Deckung für Baumängel (siehe Rdn 25).

Am bedeutsamsten ist die in § 2 ABU 2011 und ABN 2011 formulierte Voraussetzung, dass der Versicherer Entschädigung nur für unvorhersehbar eintretende Beschädigungen und Zerstörung von versicherten Sachen leistet. Nach der in den Bedingungswerken enthaltenen Begriffsbestimmung sind solche Schäden unvorhergesehen, die der Auftraggeber oder deren Repräsentanten weder rechtzeitig vorhergesehen haben noch mit dem für die im Betrieb ausgeübte Tätigkeit erforderlichen Fachwissen hätten vorhersehen können, wobei nur grobe Fahrlässigkeit schadet und diese den Versicherer dazu berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Abweichend von dem wieder gegebenen Wortlaut des § 2 Nr. 1 ABN 2011 wird in den ABU auf die Möglichkeiten des Versicherungsnehmers abgestellt, was sich daraus erklärt, dass in den ABU nur das Interesse des Unternehmers versichert wird, der Versicherungsnehmer ist, während in den ABN die Leistungen aller am Bau Beteiligten in den Versicherungsschutz einbezogen, damit auch der Nach- und Subunternehmer, die Mitversicherte sind.[99] Die nunmehr in den Bedingungswerken enthaltene Auslegung des Begriffs "unvorhergesehen" stellt den Schlusspunkt einer Auseinandersetzung dar, die schließlich zu der Klärung des Begriffs geführt hat.

Während der Begriff des unvorhergesehenen Schadens auf die Einsichtsfähigkeit des Versicherungsnehmers (in der ABU-Versicherung) bzw. des Auftraggebers, der Unternehmer und deren Repräsentanten (in der ABN-Versicherung) abstellte, erläuterte sowohl die ABU wie die ABN, dass der Begriff "unvorhergesehen" mit unvorhersehbar gleich zu setzen ist. Vereinzelt ist die Auffassung vertreten worden, dass die Ausdehnung des Begriffs der unvorhergesehene Schäden auf unvorhersehbare Schäden eine überraschende und damit nach dem damals noch anwendbaren § 3 AGBG eine unanwendbare Klausel sei.[100] Damals enthielt die Klausel allerdings nicht die Einschränkung, dass nur grobe Fahrlässigkeit schadet, womit für Versicherte und Mitversicherte die Gefahr bestand, schon bei einfacher Fahrlässigkeit hinsichtlich der Vorhersehbarkeit den Versicherungsschutz zu verlieren. Zugrunde lag ein Sachverhalt, bei dem Unbekannte die Baustelle mit einem Schlauch, der an einen Tiefbrunnen angeschlossen war und zur Befeuchtung des Betons diente, die Baustelle unter Wasser setzte und das Bauwerk beschädigte. Das OLG Celle vertrat die Auffassung, dass bei dieser Fassung der Klausel der Schutzbereich der Bauwesenversicherung derart eingeschränkt werde, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet sei. Da die Masse der Schäden auf einer Baustelle vorhersehbar sei, jeder Bauunternehmer damit rechne und Vorkehrungen gegen die Verwirklichung der Gefahren treffe, werde durch die Erstreckung des Ausschlusses von Versicherungsleistungen auf vorhersehbare Schäden der Umfang der Versicherung letztlich auf eine Haftung für Zufall beschränkt.

Der BGH ist dieser Auffassung nicht gefolgt, sondern hat das Abstellen auf die Vorhersehbarkeit von Gefährdungslagen auf Unternehmer, Repräsentanten und Bauherrn in den ABU- und ABN-Versicherungen als ausreichende Beschränkungen angesehen, dass der Bauwesenversicherung noch ein nennenswerter Anwendungsbereich verbleibe.[101] Für andere der Bauwesenversicherung verwandte technische Versicherungen sind vergleichbare Auslegungen vertreten worden. Die Entscheidung des BGH wurde in der Praxis kritisch gesehen. Angriffspunkte gegen die Gleichstellung der Begriffe "unvorhergesehen" und "unvorhersehbar" wurden dadurch auszuräumen versucht, dass die Versicherer auf Veranlassung des damaligen Bundesaufsichtsamtes für Versicherung sich in einer geschäftsplanmäßigen Erklärung verpflichteten, auch in Altverträgen bis dahin gebräuchliche Klauseln zugrunde zu legen, wonach unvorhergesehen solche Schäden sind, die der Versicherungsnehmer oder seine Repräsen...

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