Dr. Claus-Henrik Horn, Dr. iur. Claus-Peter Bienert
I. Beim Behindertentestament
Rz. 17
Einen breiten Raum in der Rechtsdiskussion in Rechtsprechung und vor allem Rechtsliteratur nimmt die Frage ein, ob ein Behindertentestament gemäß § 138 BGB sittenwidrig ist. So würde ein solches Testament zu Lasten des Sozialleistungsträgers und damit der Allgemeinheit sicherstellen, dass zum einen der Sozialleistungsträger weiter zu seinen gesetzlichen Leistungen dem Behinderten gegenüber verpflichtet ist und zum anderen dieser dauerhaft einen höheren Lebensstandard erzielt und die Substanz in der Familie erhalten bleibt. Behindertentestamente bewertet die ganz h.M. grds. nicht als sittenwidrig gemäß § 138 BGB. Das galt lange Zeit zumindest für kleinere und mittlere Vermögen. Das OLG Hamm hat sich nun auch bei einem größeren Vermögen gegen die Sittenwidrigkeit ausgesprochen. Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe würde nur das Verhältnis des Sozialhilfeempfängers zum Sozialleistungsträger betreffen.
Der BGH hat hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit eines Pflichtteilsverzichts eines behinderten Kindes inzident auch die Frage der Zulässigkeit eines Behindertentestaments geprüft und in zentralen Punkten dessen Zulässigkeit bestätigt. Leitmotiv müsse die Wahrung des Familienfriedens sein und die den Sozialleistungsträger benachteiligende Wirkung reiner Reflex sein.
Rz. 18
Auch wird diskutiert, ob die Anordnung der Testamentsvollstreckung als sittenwidrig angesehen werden könnte. Dies ist aufgrund der Tatsache, dass der Nacherbe die Substanz erhalten soll und der Vorerbe die "Zusatzleistungen" erhält, zu verneinen. Da es sich bei dem Sozialleistungsträger auch nicht um einen Beteiligten i.S.v. § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB handelt, kommt die Möglichkeit der Aufhebung einzelner Testamentsvollstreckungsanordnungen durch Antrag des Sozialleistungsträgers bei dem Nachlassgericht nicht in Betracht. Die Entscheidung des LSG Hamburg bestätigt auch die Zulässigkeit der Anordnung einer Dauervollstreckung in einer letztwilligen Verfügung zugunsten des behinderten Kindes. Das Gericht hat ausdrücklich die Schutzfunktion der Testamentsvollstreckung anerkannt. Das BSG hat in einem Fall die Sittenwidrigkeit einer Dauertestamentsvollstreckung im Rahmen eines Bedürftigentestaments verneint, was möglicherweise Rückschlüsse auf das Behindertentestament im Sinne eines "Erst-recht-Schlusses" zulässt. Interessant auch für das Behindertentestament: Selbst wenn eine Sittenwidrigkeit der Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung angenommen werden sollte, folge nach BSG daraus nicht, dass die Hilfeempfängerin zum Zeitpunkt des Zuflusses des Erbes über dieses habe verfügen können, weil zu diesem Zeitpunkt die Dauertestamentsvollstreckung noch Bestand habe. Die Hilfeempfängerin müsste erst die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung durch den Erblasser erfolgreich anfechten. Insofern sei darauf hinzuweisen, dass der Sozialleistungsträger gegenüber der Hilfeempfängerin Beratungspflichten aus dem zwischen ihnen bestehenden Sozialrechtsverhältnis habe und, wenn er ein Vorgehen der Hilfeempfängerin gegen den Testamentsvollstrecker für angezeigt halte, diese dabei zu unterstützen habe. Der Testamentsvollstrecker ist im Übrigen gehalten, sich an die Anordnungen des Erblassers zu halten; gibt er Gegenstände aus dem von ihm verwalteten Nachlass frei, kann es sich aber um verwertbares Einkommen oder Vermögen handeln, das einem Sozialleistungsanspruch entgegensteht.
Rz. 19
Ob die Rechtsprechung zukünftig zur Annahme der Sittenwidrigkeit zumindest in Einzelfällen tendiert, lässt sich nicht prognostizieren. Es ist aber eher unwahrscheinlich. Jedoch weist Braun vollkommen zu Recht darauf hin, dass diese Frage anders zu beantworten sein könnte, wenn allein die Erträge zur Grundversorgung des behinderten Kindes ausreichen. Denkbar ist dann auch ein Zusatz, wonach nicht i.S.d. Verwaltungsanweisung zugunsten des behinderten Kindes verbrauchte Erträge für den Unterhalt verwendet werden können. Im Übrigen sollte sich die sittlich anzuerkennende Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus in der Formulierung des Behindertentestaments niederschlagen. Legt die Formulierung nahe, dass es nur darum geht, Vermögenswerte vor dem Zugriff des Sozialleistungsträgers zu schützen, mag im Einzelfall Sittenwidrigkeit bejaht werden.
Wenn für den Fall, dass die Sittenwidrigkeit festgestellt werden könnte, Vorkehrungen getroffen werden sollen, gilt Folgendes: Spall empfiehlt, bei größeren Vermögen eine salvatorische Regelung für den Fall zu treffen, dass sich das Behindertentestament als unwirksam erachten sollte. Eine denkbare Nichtigkeit würde zur gesetzlichen Erbfolge führen, was schließlich nicht dem Willen der Testierenden entspricht.