Dr. Claus-Henrik Horn, Dr. iur. Claus-Peter Bienert
Rz. 30
Als Klassiker des Behindertentestaments gilt die Vor- und Nacherbschaftslösung. Um die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs im Erbfall und damit die (automatische) Überleitung dieses Anspruchs auf den Sozialleistungsträger zu verhindern (vgl. Rdn 29), ist das behinderte Kind testamentarisch oder erbvertraglich zu begünstigen. Bei dieser (zu Unrecht?) beliebten Lösung wird das behinderte Kind zum Vorerben berufen. Durch die Anordnung der Dauervollstreckung mit Verwaltungsanweisungen, nach denen der Testamentsvollstrecker dem Behinderten Wohltaten zukommen zu lassen hat, wird die Erhöhung des Lebensstandards des behinderten Kindes im Vergleich zu den gesetzlichen Leistungen des Sozialleistungsträgers sichergestellt.
Rz. 31
Zur Gestaltung im Einzelnen: Das behinderte Kind wird zum nicht befreiten Vorerben eingesetzt (§ 2100 BGB). Nacherben können entweder die gesunden Kinder oder etwa eine gemeinnützige Einrichtung sein, die sich beispielsweise für Menschen mit Behinderungen engagiert. Durch die Anordnung der Nacherbfolge wird der dem behinderten Kind zugewendete Nachlass zu seinen Lebzeiten vor der Verwertung durch seine Eigengläubiger, zu denen auch der Sozialleistungsträger zählt, geschützt (§ 2115 BGB, § 773 ZPO, § 83 Abs. 2 InsO). Ebenfalls wird so verhindert, dass das geerbte Vermögen mit dem Tod des Behinderten auf dessen Erben übergeht. Das Vermögen unterliegt durch diese Gestaltung nicht dem Kostenersatz des Sozialhilfeträgers nach § 102 SGB XII.
Indem der Behinderte nicht befreiter Vorerbe wird, wird verhindert, dass anderenfalls die Nachlasssubstanz zumindest mittelbar der Zugriffsmöglichkeit des Sozialleistungsträgers ausgesetzt sein kann. Es könnte die Gewährung von Sozialhilfe mit der Begründung verweigert werden, dass der Behinderte die Substanz des Nachlassvermögens für sich verwenden darf (§ 2138 Abs. 1 BGB). Die Nicht-Befreiung stellt einen zusätzlichen Schutz zu der Dauertestamentsvollstreckung dar, die für sich genommen schon das Vermögen vor dem Zugriff des Sozialleistungsträgers schützt. Es ist aber zu befürchten, dass entgegen der Rechtslage bei einer befreiten Vorerbschaft der Sozialleistungsträger annimmt, dass dann ein Zugriff auf die Substanz des Nachlasses zulässig ist.
Darüber hinaus weist Hammann darauf hin, dass eine Diskussion um Befreiung oder Nicht-Befreiung auch dann keine Rolle spielt, wenn der Testamentsvollstrecker zugleich Nacherbenvollstrecker gem. § 2222 BGB ist. Denn erst recht bei einer nichtbefreiten Vorerbschaft kann er über den Nachlass verfügen; er ist nicht an die Beschränkungen gem. §§ 2113 ff. BGB gebunden.
Zweckmäßig kann aber die eingeschränkte Befreiung hinsichtlich folgender Verpflichtungen sein:
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zur Hinterlegung von Wertpapieren (§ 2116 BGB) |
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zur Eintragung eines Sperrvermerks im Schuldbuch (§ 2118 BGB) sowie |
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zur mündelsicheren Geldanlage (§ 2119 BGB). |
Unabhängig von etwaigen Befreiungen von den gesetzlichen Beschränkungen stehen dem Vorerben die Früchte und sonstigen Nutzungen des Nachlasses zu, sofern es sich nicht um Übermaßfrüchte handelt (§§ 99, 100, 2133 BGB). Sofern die zu erwartenden Erträge, die ordnungsgemäß gezogen werden können, so niedrig sind, dass es nicht zu einer spürbaren Verbesserung der Lebenssituation des behinderten Kindes kommt, kann zudem auch Befreiung von §§ 2133, 2134 BGB erteilt werden. Dann kann der Testamentsvollstrecker auch Übermaßfrüchte ziehen und die Substanz zugunsten des Behinderten verbrauchen (vgl. Muster Rdn 52). Unabhängig davon sehen die meisten Muster vor, dass der Testamentsvollstrecker auch die Substanz angreifen darf, wenn die Erträge für die in der Verwaltungsanweisung aufgezählten Wohltaten zugunsten des behinderten Kindes und auch etwa die Vergütung des Testamentsvollstreckers nicht reichen. Jedoch sollte in dem Testament ausdrücklich verfügt sein, dass der Zugriff auf die Substanz nicht zur Anrechnung auf Sozialleistungen führen darf.
Rz. 32
Bei größeren Vermögen ist auch an den umgekehrten Fall zu denken, dass also die Erträge höher ausfallen als die stetigen Ausgaben. Hierzu sollte in den Verwaltungsanweisungen aufgenommen werden, dass überschießende Teile gewinnbringend anzulegen seien und diese ggf. Rückstellungen für zukünftige größere Ausgaben darstellen sollen. Jedoch ist festzustellen, dass die Früchte dem Vorerben als Eigentümer des Nachlassteils bzw. dem Vorvermächtnisnehmer zustehen (§ 953 BGB). Es ist str., ob ein Thesaurierungsgebot für den Testamentsvollstrecker die Ausschüttung der Nachlasserträge einschränken kann. Grundsätzlich kann aber der Erbe die Herausgabe von Nutzungen und Erträgnissen verlangen, wenn das den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht. Am 18.10.2018 hat das LSG Nordrhein-Westfalen entschieden, dass trotz eines üblichen Behindertentestaments (Vor- und Nacherbschaft mit Dauertestamentsvollstreckung einschließlich konkreten Verwaltungsanweisungen) dieser Anspruch auf überschießende Erträge übergeleitet werden kann...