Dr. Claus-Henrik Horn, Dr. iur. Claus-Peter Bienert
Rz. 20
Zu der Sittenwidrigkeit kann bei dem Bedürftigentestament keine so eindeutige Aussage gemacht werden wie bei dem Behindertentestament. Es ist auch zweifelhaft, ob die Rechtsprechung zum Behindertentestament auf das Bedürftigentestament übertragbar ist. Der bedeutende Unterschied besteht darin, dass einstweilen der Bedürftige für seine finanzielle Situation (mit)verantwortlich sein kann und nun steuerfinanzierte Sozialleistungen erhält. Die Zugriffsabwehr und nicht die Begünstigung des Bedürftigen steht oft im Vordergrund. Etwa hielt das SG Dortmund die Anordnung einer Testamentsvollstreckung für sittenwidrig.
Rz. 21
Litzenburger begründet jedoch, dass diese Gestaltung nicht sittenwidrig ist: Dabei beruft er sich auf eine Entscheidung des BGH, wonach ein Schenker bei einer vorweggenommenen Erbfolge keine Rücksicht darauf zu nehmen braucht, ob er selbst einmal auf Sozialleistungen angewiesen sein wird. Dann brauche erst recht der Erblasser keine Rücksicht auf die Hilfebedürftigkeit des eingesetzten Erben zu nehmen. Lt. Keim könne die Grundkonstruktion des Bedürftigentestaments nicht sittenwidrig sein, zumal die bloße Enterbung eines sozialhilfebedürftigen Abkömmlings keinesfalls sittenwidrig ist. Verwerflich könne allenfalls das Vorhalten des Pflichtteils als vorrangig zur Sozialhilfe zu verwertendes Vermögen sein (§ 9 Abs. 1 SGB II). Hiergegen spreche jedoch die vom Gesetzgeber in § 2338 BGB vorgesehene Möglichkeit, einen überschuldeten Abkömmling vom Pflichtteil fernzuhalten. Dass das Gesetz fürsorgerische Maßnahmen des Erblassers zum Erhalt des hinterlassenen Vermögens in weitem Umfang zulässt, ergibt sich aus zahlreichen Regelungen des Erbrechts. Sozialgerichte haben verschiedentlich entschieden, dass ein Bedürftigentestament nicht sittenwidrig ist. Das LSG Baden-Württemberg hat darauf abgestellt, dass die dortige Erblasserin berechtigte Sorge hatte, ihr alkoholkranker Sohn werde nicht in der Lage sein, mit einer Zuwendung im Todesfall sachgerecht und verantwortungsbewusst umzugehen. Insoweit wies das Bedürftigentestament aber schon fast den Charakter eines Behindertentestaments auf. Das BSG hat eine Dauertestamentsvollstreckung im Rahmen eines Bedürftigentestaments als nicht sittenwidrig angesehen. Begründet hat das BSG dies damit, die Klägerin habe nicht in einer besonderen Beziehung zum Erblasser gestanden, sondern ihr sei das Erbe nur im Rahmen einer freien Entscheidung des Erblassers zugedacht worden, was allerdings wohl auch den gegenteiligen Schluss ermöglicht hätte. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass das BSG auch bei unterstellter Sittenwidrigkeit nicht von einem verwertbaren Vermögen ausgeht. Denn erst müsse die Hilfebedürftige die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung durch den Erblasser erfolgreich anfechten. Bei einem Vorgehen gegen den Testamentsvollstrecker habe der Sozialleistungsträger den Hilfebedürftigen zu unterstützen.
Rz. 22
Legt man die Entscheidungsgrundlagen des Behindertentestaments zugrunde, muss es auch möglich sein, diese Grundsätze auf das Bedürftigentestament zu übertragen. Denn die Grundlagen der Entscheidung sind nahezu identisch. Es geht um den Schutz des Bedürftigen und gleichzeitig um den Erhalt von Familienvermögen. Die getroffenen Bestimmungen sind erneut Ausfluss aus der allgemeinen Handlungsfreiheit des Erblassers und insbesondere aus der Testierfreiheit, die sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergibt. Es dürfte also für die Gestaltungspraxis empfehlenswert sein, sich bei der Fassung eines Bedürftigentestaments streng an die für das Behindertentestament entwickelten Gestaltungsgrundsätze zu halten. Grds. ist die Sittenwidrigkeit nicht zu erwarten.