Dr. Claus-Henrik Horn, Dr. iur. Claus-Peter Bienert
Rz. 58
Trotz der Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen ist die für die Vermächtnislösung entscheidende Rechtsfrage bislang anscheinend nicht entschieden worden: Es besteht nämlich eine Konkurrenzsituation nach dem Ableben des Behinderten zwischen dem Kostenerstattungsanspruch des Sozialleistungsträgers nach § 102 SGB XII und dem Anspruch des Nachvermächtnisnehmers auf Erfüllung seines Vermächtnisanspruchs, wenn denn § 102 SGB XII überhaupt anwendbar ist, was wegen § 102 Abs. 5 SGB XII häufig nicht der Fall sein wird. Der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers wirkt schließlich nur schuldrechtlich und nicht wie bei dem Nacherben dinglich. Anders als bei der Nacherbschaft fällt der Vermächtnisanspruch des Nachvermächtnisnehmers in den Nachlass des Vorvermächtnisnehmers. Naturgemäß ist der Nachlass des behinderten Kindes überschuldet, da dem Sozialleistungsträger Ansprüche zustehen.
Nach einer Mindermeinung wird der Rest des Vorvermächtnisses zwischen dem Sozialleistungsträger und dem Nachvermächtnisnehmer quotenmäßig aufgeteilt, da beide Forderungen gleichrangig seien. Ebenfalls nicht überzeugend ist es, eine Haftung aus entsprechender Anwendung der §§ 2387 Abs. 1, 2382, 2385 BGB wie beim Erbteilskauf zu konstruieren. Diese Mindermeinung vergleicht das Nachvermächtnis mit einem Universalvermächtnis. Sie übersieht dabei, dass sich das Nachvermächtnis nicht auf den ganzen Nachlass bezieht, sondern nur auf den beim "Nachvermächtnisfall" noch vorhandenen Restnachlass.
Nach der überzeugenden h.M. scheidet aber der Zugriff des Sozialleistungsträgers aus, weil das Nachvermächtnis nicht vom Vorvermächtnisnehmer angeordnet wurde, sondern vom ursprünglichen Erblasser. Damit ist das Vorvermächtnis von Anfang an mit dem aufschiebend bedingten Herausgabeanspruch zugunsten des Nachvermächtnisnehmers belastet gewesen. Bei dem Vermächtnis handelt es sich schließlich – aus Sicht des Nachlasses des behinderten Kindes – um eine Erblasserschuld und nicht, wie bei dem Kostenerstattungsanspruch nach § 102 SGB XII, um eine Erbfallschuld.
Weiterer Konfliktpunkt ist die Frage, ob die Testamentsvollstreckung mit dem Nachvermächtnisfall endet, also beim Tod des behinderten Vorvermächtnisnehmers, oder ob der Aufgabenbereich und die Verfügungsmacht des Testamentsvollstreckers auch umfassen kann, den Vermächtnisgegenstand noch auf den Nachvermächtnisnehmer zu übertragen. Nach der h.M. berechtigt eine Vermächtnisvollstreckung i.S.d. § 2223 BGB nicht zur Erfüllung des Nachvermächtnisses. Zu empfehlen ist daher, die Dauervollstreckung auf die Erfüllung des Nachvermächtnisanspruchs zu erweitern. Mit dem Erbfall des Behinderten geht die Dauervollstreckung in eine spezielle Vermächtnisvollstreckung, angelehnt an § 2223 BGB, über.