Dr. Claus-Henrik Horn, Dr. iur. Claus-Peter Bienert
Rz. 35
Entsprechend der Rechtslage vor der für Erbfälle ab dem 1.1.2010 maßgeblichen Erbrechtsreform muss die testamentarische Erbquote des Kindes mit Behinderungen oberhalb seiner Pflichtteilsquote liegen. Ansonsten könnte der Sozialleistungsträger den durch § 2305 BGB entstandenen Zusatzpflichtteil auf sich überleiten (Differenz zwischen der Erb- und der Pflichtteilsquote). Auch aus einem anderen Grund sollte das behinderte Kind auch weiterhin nicht mit einer Erbquote unterhalb seines Pflichtteilsanspruchs eingesetzt werden: Der Sozialleistungsträger kann zwar nicht das Ausschlagungsrecht, das ihn nach der Ausübung zur Pflichtteilsgeltendmachung berechtigt, auf sich überleiten, da es sich um ein höchstpersönliches Gestaltungsrecht handelt. Allerdings ist der Betreuer zur Ausschlagung für den beschränkt geschäftsfähigen Behinderten berechtigt, was der gerichtlichen Genehmigung bedarf (§§ 1793, 1902, 1908i, 1822 Nr. 2 BGB). Da der Betreuer Entscheidungen zum Wohl des Behinderten gemäß § 1901 Abs. 1 S. 2 BGB treffen muss, kann er bei der Einsetzung zu einer zu niedrigen Quote zur Erklärung der Ausschlagung verpflichtet sein.
Die Erbquotenbemessung zugunsten des behinderten Kindes sollte gerade im Hinblick auf eine etwaige Sittenwidrigkeit sowie die Entscheidung des Betreuers über eine Ausschlagung nicht zu knapp ausgestaltet werden. Vor einer Einsetzung wie beispielsweise "1 % über dem Pflichtteil" ist zu warnen. So kann 1 % als zu knapp bewertet werden, um Beschränkungen durch eine Dauertestamentsvollstreckung und eine Nacherbschaft bzw. ein Nachvermächtnis zu rechtfertigen. Dann könnte eine Ausschlagung dem Wohl des Kindes eher entsprechen. Abzulehnen ist auch die Auffassung, wonach kein Anlass mehr bestünde, mehr als die Pflichtteilsquote zuzuwenden. In dem Fall des LG Heidelberg war eine Quote von "27 %" und damit um zwei Prozentpunkte über der Pflichtteilsquote verfügt.
Unabhängig davon ist von festen Prozentsätzen abzuraten. So würde eine feste Quote nicht mehr passen, wenn etwa die Ehegatten den Güterstand ehevertraglich ändern oder ein gesundes Kind vorverstorben ist bzw. einen Erbverzicht nach § 2346 BGB erklärt hat.
Absolut zu empfehlen sind etwa als Bemessung für den Vorerbteil oder das Vermächtnis zugunsten des behinderten Kindes "60 % des gesetzlichen Erbteils". Alternativ kann der Nenner um einen Punkt im Vergleich zur Pflichtteilsquote erhöht werden. Beispiel: Bei einer Pflichtteilsquote von ⅛ würde sich eine Erbquote von 1/7 ergeben, die so in dem Testament verwendet wird. Da bei der Formulierung "60 % des gesetzlichen Erbteils" auch Erhöhungen und Reduzierungen aufgrund von ausgleichungspflichtigen Zuwendungen nach § 2050 BGB bzw. von Unterstützungsleistungen nach § 2057a BGB umfasst sind, ist diese Bestimmung der Quote vorzuziehen. Daher umfasst das ggf. zusätzlich erforderliche Vermächtnis wegen der Beteiligung des behinderten Kindes an unentgeltlichen Zuwendungen, das unter Rdn 28 vorgestellt wird, auch nur etwaige Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 BGB. Gerne können mehr als 60 % verfügt werden, aber nicht weniger. Viele Eltern wollen erfahrungsgemäß ihr Kind mit Behinderungen umfangreicher begünstigen.