Dr. Claus-Henrik Horn, Dr. iur. Claus-Peter Bienert
I. Elemente der Gestaltung
Rz. 55
Bei der Vermächtnislösung wird vermieden, dass eine Erbengemeinschaft mit dem behinderten Kind als Mitvorerbe verhindert wird. Auch eine problembehaftete Erbauseinandersetzung nach § 2042 BGB steht nicht an. Bei dieser Gestaltung wird dem Kind mit Behinderungen ein Vorvermächtnis ausgesetzt und über eine Dauervollstreckung definiert, welche Leistungen es erhält. Die Dauertestamentsvollstreckung sorgt ferner entsprechend § 2211 BGB dafür, dass der Vorvermächtnisnehmer über den Vermächtnisgegenstand nicht verfügen kann. Das macht den Vermächtnisanspruch im Sinne des Grundsicherungs- und Sozialhilferechts unverwertbar. Ein (zusätzlicher) Schutz wie bei der Vor- und Nacherbschaft durch § 2115 BGB, wonach eine Zwangsvollstreckung gegen den Vorerben i.E. unwirksam ist, besteht bei dem Vor- und Nachvermächtnis nicht. Der Schutz durch die Dauertestamentsvollstreckung mit der Verwaltungsanordnung ist aber ausreichend.
Mit Tod des Vorvermächtnisnehmers erwerben die weiteren Kinder oder gemeinnützige Einrichtungen im Wege des Nachvermächtnisses den Anspruch gegen den Nachlass des Vorvermächtnisnehmers auf Auskehrung des noch vorhandenen Vermächtnisrestes (§ 2191 BGB). Idealerweise wird ein Quotengeldvermächtnis mit einer Quote oberhalb der Pflichtteilsquote ausgesetzt (vgl. Rdn 35). Ferner muss sichergestellt sein, dass die testamentarische Begünstigung des behinderten Kindes auch Pflichtteilsergänzungsansprüche umfasst (vgl. Rdn 24). Das nachfolgende Muster sieht hierfür ein zusätzliches Vermächtnis vor (Muster 21.1). Alternativ kann ein Vermächtnis im Wert von 110 % des gesetzlichen ordentlichen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs ausgesetzt werden. Dann ist ein zusätzliches Geldvermächtnis wegen Schenkungen nicht erforderlich.
Denkbar ist auch eine Kombination bzw. Anrechnung etwa mit einem Wohnungsrechtsvermächtnis (vgl. Rdn 60). Ein Wohnungsrecht kann schließlich ebenfalls nicht auf den Sozialleistungsträger übergeleitet werden.
Bei einer Quote unterhalb der Pflichtteilsquote könnte der Pflichtteilsrestanspruch aus § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB geltend gemacht werden. Diesen könnte der Sozialleistungsträger auf sich überleiten.
Rz. 56
Bei dieser Vermächtnislösung steht dem Kind mit Behinderungen bzw. dessen Betreuer das Wahlrecht zwischen Annahme des Vorvermächtnisses oder Ausschlagung und Verlangung des Pflichtteilsrechts zu (§ 2307 Abs. 1 S. 1 BGB). Auch in dieser Konstellation kann der Sozialleistungsträger das Ausschlagungsrecht des Vermächtnisses nicht auf sich überleiten. Der Betreuer wird das Vorvermächtnis nicht ausschlagen, wenn es zum Wohl des behinderten Kindes ausgestaltet ist. Wie bei der Vor- und Nacherbschaftslösung muss der Testamentsvollstrecker durch eine Verwaltungsanweisung nach § 2116 BGB beauftragt werden, welche Leistungen er an den Vorvermächtnisnehmer herauszugeben hat (vgl. Rdn 38ff.). Diese dürfen sozialrechtlich nicht verwertbar sein.
Es ist darauf hinzuweisen, dass hier keine Vermächtnisvollstreckung i.S.d. § 2223 BGB gemeint ist. Diese beschränkt sich auf die Ausführung von Beschwerungen zu Lasten des Vermächtnisnehmers, etwa durch Untervermächtnisse. Zweckmäßig ist es, stets die Aufgaben und Befugnisse eines Testamentsvollstreckers genau zu beschreiben. Die Unklarheit, ob der Dauertestamentsvollstrecker auch die Rechte der Nachvermächtnisnehmer wahrzunehmen hat, sollte durch eine testamentarische Aufgabenbeschreibung beseitigt werden. Explizit ist anzuordnen, dass der Testamentsvollstrecker auch die Rechte der Nachvermächtnisnehmer wahrnehmen und das Nachvermächtnis erfüllen soll.
Rz. 57
Person des Testamentsvollstreckers: Zu der Problematik, wer Testamentsvollstrecker werden kann, wird auf die Ausführungen unter der Vor- und Nacherbschaftslösung verwiesen (vgl. Rdn 47ff.). Bei der Vermächtnislösung kann aber angedacht werden, dass zur Erfüllung des Vermächtnisses ein familienfremder Testamentsvollstrecker berufen wird. Seine Aufgabe endet mit Einziehung des Vermächtnisses. Dann schließt sich die Dauervollstreckung an, die auch der belastete Erbe übernehmen kann. Die Interessenkollision kann schließlich bei der Einziehung des Vermächtnisses nur darin bestehen, dass das behinderte Kind weniger erhält, als ihm durch Testament zugewiesen ist. Sobald die Einziehung abgeschlossen ist, kann auch der belastete Erbe die Dauervollstreckung über den Vermächtnisgegenstand übernehmen. Konkret: Der längerlebende Ehegatte ist Alleinerbe. Er hat auf Verlangen des familienfremden Testamentsvollstreckers den Vermächtnisanspruch seines behinderten Kindes zu erfüllen. Danach kann er die Dauervollstreckung übernehmen und die Leistungen an das behinderte Kind auskehren.