Dr. Claus-Henrik Horn, Dr. iur. Claus-Peter Bienert
Rz. 78
Unabhängig von der Frage, ob der Erbfall vor oder während des laufenden Insolvenzverfahrens eingetreten und damit der Pflichtteilsanspruch gemäß § 2317 BGB entstanden ist, gehört der Pflichtteilsanspruch zur Insolvenzmasse.
Solange der Pflichtteilsberechtigte als Insolvenzschuldner aber nicht die Verwertungsreife gemäß § 852 Abs. 1 ZPO herbeigeführt hat, kann der Insolvenzverwalter diesen nicht verwerten, also nicht einziehen. Der Pflichtteilsanspruch ist vor der Verwertungsreife zwar pfändbar, aber nicht verwertbar (siehe §§ 35 ff. InsO). Damit ist die zwangsweise Verwertbarkeit aufschiebend bedingt. Nur der Pflichtteilsberechtigte kann höchstpersönlich die Verwertungsreife gemäß § 852 Abs. 1 ZPO herbeiführen; es unterliegt mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit von Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem der freien Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten, ob er einen ihm zustehenden Pflichtteil verlangen will oder nicht. Die Insolvenzgläubiger können auch nicht etwa über die Gläubigeranfechtung die Geltendmachung erzwingen (§ 3 AnfG, §§ 129 ff. InsO). Da der Pflichtteilsanspruch aber bereits vor der Verwertungsgreife "vorsorglich" gepfändet werden kann, gehört er von Anfang an zu dem durch Insolvenzbeschlag erfassten Vermögen. Nachdem der pflichtteilsberechtigte Insolvenzschuldner die Verwertungsreife herbeigeführt hat, ist der Insolvenzverwalter ausschließlich forderungsberechtigt (§ 80 InsO).
Rz. 79
Führt der Pflichtteilsberechtigte erst nach Beendigung des laufenden Insolvenzverfahrens, also im Restschuldbefreiungsverfahren, die Verwertungsreife nach § 852 Abs. 1 ZPO herbei (Erbfall aber vor Beendigung des laufenden Insolvenzverfahrens), hat eine Nachtragsverteilung nach § 203 Abs. 1 InsO stattzufinden. So wurde der Pflichtteilsanspruch i.S.d. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO nachträglich ermittelt. Der Insolvenzverwalter/Treuhänder ist für die Einziehung zuständig. Es gilt auch nicht der Halbteilungsgrundsatz nach § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Schließlich gehörte der Pflichtteilsanspruch schon zur Insolvenzmasse, so dass er nicht zugleich einen Neuerwerb in der Restschuldbefreiungsphase darstellen kann.
Findet der Erbfall erst während des Restschuldbefreiungsverfahrens ("Wohlverhaltensphase"), also nach Aufhebung des laufenden Insolvenzverfahrens, statt, ist der Pflichtteilsberechtigte befugt, selber den Pflichtteilszahlungsanspruch durchzusetzen (§ 83 InsO). Der Gesetzgeber hat ihm durch den Halbteilungsgrundsatz einen Anreiz geschaffen, den Pflichtteilsanspruch zu beanspruchen und so zumindest die Hälfte persönlich zu behalten (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Der Obliegenheit kommt der Pflichtteilsberechtigte dadurch nach, dass er nach Eingang auf seinem Konto eine Geldzahlung in Höhe des hälftigen Wertes an den Treuhänder/Insolvenzverwalter leitet. Er muss mithin nur die Hälfte an den Treuhänder abführen. Es stellt innerhalb des Restschuldbefreiungsverfahrens keine Obliegenheitsverpflichtung nach § 296 InsO dar, wenn der Insolvenzschuldner seinen Pflichtteilsanspruch nicht geltend macht.
Trat der Erbfall während des Restschuldbefreiungsverfahrens ein, hat der Pflichtteilsberechtigte den Anspruch aber erst nach Beendigung des Restschuldbefreiungsverfahrens geltend gemacht, also nach Ende der Abtretungszeit von sechs Jahren, hat er nichts abzuführen.