a) Grundsatz
Rz. 44
Nur eine auch objektive Beeinträchtigung des Vertragserben ist entscheidend. Als gleichsam ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal setzt der Anspruch nach § 2287 BGB voraus, dass die berechtigten Erberwartungen des Vertragserben objektiv beeinträchtigt werden. Ein Anspruch aus § 2287 BGB scheidet daher aus, wenn die Schenkung des gebundenen Erblassers nicht zu einer echten Wertverschiebung zu Lasten des bindend eingesetzten Erben führt. Auch eine bindend gewordene Verfügung von Todes wegen hindert daher den Erblasser nicht, durch nicht wertverschiebende Teilungsanordnung oder im Wege der vorweggenommenen Erbfolge einem Erben an bestimmten Nachlassgegenständen mehr zukommen zu lassen, als dem Wert des Erbteils entspricht. Im Falle einer lebzeitigen Zuwendung ist die entsprechende Wertkompensation für den bindend eingesetzten Erben dann durch entsprechende Ausgleichsbestimmungen herbeizuführen.
Rz. 45
Eine objektive Beeinträchtigung ist zu verneinen,
▪ |
wenn der Erblasser die verschenkten Gegenstände dem Beschenkten auch trotz des bestehenden Erbvertrags bzw. gemeinschaftlichen Testaments hätte zukommen lassen können, bspw. wenn für den Erblasser im Erbvertrag oder im gemeinschaftlichen Testament ein entsprechender Vorbehalt vorgesehen war, oder wenn es dem Überlebenden ausdrücklich gestattet ist, unter Lebenden frei über den Nachlass zu verfügen; |
▪ |
wenn Zugewinnausgleich und Pflichtteilsansprüche des Beschenkten zum gleichen Ergebnis geführt hätten; beide Ansprüche wären ohnehin vom Vertragserben vorrangig zu erfüllen gewesen (vgl. dazu Rdn 74 ff.); |
▪ |
bei einer zu Lasten des beschenkten vertraglichen Mit-Schlusserben vom Erblasser angeordneten Ausgleichungspflicht in der Erbteilung nach § 2050 Abs. 3 BGB (vgl. dazu Rdn 47); |
▪ |
wenn dem beeinträchtigten Miterben das verschenkte Grundstück als Vorausvermächtnis zugewandt ist; |
▪ |
wenn der Erblasser die bindende Verfügung wirksam hätte anfechten können (vgl. dazu Rdn 48); |
▪ |
wenn die Schenkung wertmäßig dem Pflichtteil entspricht. Dies gilt auch bei einem Erbverzicht, wenn dieser unter Berücksichtigung des § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB aufgehoben werden kann. |
b) Gemischte Schenkung – Nießbrauchsvorbehalt und Pflegeverpflichtung
Rz. 46
Ein in einem Grundstücksübertragungsvertrag vorbehaltener Nießbrauch sowie eine übernommene Pflegeverpflichtung sind bereits bei der Prüfung, ob eine (gemischte) Schenkung vorliegt, zu berücksichtigen.
c) Schenkung mit Ausgleichungspflicht
Rz. 47
Nach der BGH-Rechtsprechung beeinträchtigt eine Schenkung an einen Mit-Schlusserben die übrigen Schlusserben nicht, wenn die gewährte Schenkung in der Erbteilung nach § 2050 Abs. 3 BGB auszugleichen ist.
Der BGH im Urt. v. 23.9.1981:
Zitat
1. Wer durch bindend gewordenes gemeinschaftliches Testament seine beiden Söhne zu gleichen Teilen zu Erben eingesetzt hat, darf sein Vermögen auch im Wege vorweggenommener Erbfolge auf die Söhne verteilen. Er verstößt auch dann nicht gegen seine erbrechtlichen Bindungen, wenn er die Hälfte seines Vermögens bei Lebzeiten auf den einen Sohn überträgt und den anderen wegen seines Anteils auf den Nachlass verweist, bei der Zuwendung aber durch Ausgleichungsanordnung zugleich sicherstellt, dass der letztere nicht zu kurz kommt. Er ist auch nicht gehindert, einem Sohn durch Teilungsanordnung mehr Grundstücke zukommen zu lassen, als dem Wert des Erbteils entspricht. Voraussetzung dafür ist, dass er diesem auferlegt, dem anderen Sohn einen entsprechenden Ausgleich aus dem eigenen Vermögen zukommen zu lassen.
2. Überträgt der Erblasser einem seiner beiden bindend zu Schlusserben eingesetzten Söhne Teile seines Vermögens im Wege "vorweggenommener Erbfolge", dann kann das als Ausgleichungsanordnung i.S.v. §§ 2052, 2050 Abs. 3 BGB zu verstehen sein. Überträgt er diesem bei Lebzeiten mehr Grundstücke, als dem Wert des Erbteils entspricht, dann geht ein möglicher Anspruch des anderen Sohnes aus § 2287 BGB in der Regel nicht auf Herausgabe von Grundstücken oder eines Anteils daran, sondern auf Wertersatz. …
Nach § 2286 BGB kann und darf der Erblasser, der durch Erbvertrag oder bindend gewordenes Testament auf eine bestimmte Verfügung von Todes wegen festgelegt ist, über sein Vermögen trotz der eingegangenen erbrechtlichen Bindungen durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden grundsätzlich...