Eberhard Rott, Dr. Michael Stephan Kornau
Rz. 58
Ein Fall aus der täglichen Praxis: Der Testamentsvollstrecker stellt fest, dass der Erblasser über erhebliche Vermögenswerte im Ausland verfügt und die daraus resultierenden nicht unerheblichen Zinseinkünfte in den letzten zehn Jahren dem deutschen Fiskus verschwiegen hat, ebenso wie seinem langjährigen Vermögensberater. Der Testamentsvollstrecker diskutiert die eingetretene Lage mit allen drei Beteiligten. Emil Steiner entscheidet sich sofort dafür, entsprechende berichtigte Steuererklärungen abzugeben. Die beiden anderen Söhne sind der Auffassung, ihnen könne keiner etwas, schließlich würden sie im Ausland leben. Sie verlangen vom Testamentsvollstrecker, dass er die Steuerhinterziehung von Graf Koks nicht aufdeckt. Welche Handlungsoptionen hat der Testamentsvollstrecker?
Rz. 59
Der Erbfall ist ein geradezu klassischer Fall, in dem frühere Steuersünden zutage treten. Die vielfältigen Erklärungspflichten der Banken, Versicherungen und Notare, die Kontrollmitteilungen, die das Erbschaftsteuerfinanzamt aufgrund der vorhandenen Unterlagen an das für die Einkommenssteuer des Erblassers zuständige Finanzamt schickt, sowie die Mitteilsamkeit vermeintlich übergangener Erben haben schon häufig manche kritischen Fragen nach der Steuerehrlichkeit des Erblassers in den zurückliegenden Jahren aufkommen lassen. Im Extremfall können diese Feststellungen auch Anlass für eine Steuerfahndung geben.
Rz. 60
Der Testamentsvollstrecker ist nicht verpflichtet, aktiv nach Unrichtigkeiten in den vom Erblasser abgegebenen Steuererklärungen zu suchen. Erst dann, wenn er tatsächlich erkennt, dass Unrichtigkeiten oder gar Steuerhinterziehungen vorliegen, ist er verpflichtet, dies gemäß §§ 153 Abs. 1 S. 2, 34 AO unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Bloßes Erkennenmüssen setzt die Anzeigepflicht nicht in Gang. Verstößt er gegen die Anzeigepflicht, kann er sich aufgrund dieses Verhaltens selbst strafbar machen.
Rz. 61
Die Erben befinden sich in folgendem Dilemma: Wenn sie sich korrekt verhalten, können sie gemäß § 169 Abs. 2 S. 2, 3 AO rückwirkend bis zu zehn Jahren für die Steuerschulden des Erblassers herangezogen werden. Darüber hinaus schulden die Erben die durch den Erblasser verwirkten Hinterziehungszinsen. Gem. § 238 AO belaufen sich die Hinterziehungszinsen auf 0,5 % pro angefangenem Monat. Dieser scheinbar harmlose Betrag errechnet sich auf 6 % pro Jahr bzw. 60 % im Fall einer auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist. Darüber hinaus eröffnet sich für das Finanzamt je nach Fallgestaltung aufgrund eines nicht aufklärbaren Sachverhaltes gem. § 162 AO noch die Möglichkeit zu einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. So kann sich durchaus eine Verdoppelung der Steuerschuld im Vergleich zu der Schuld ergeben, die der Erblasser bei korrekter Versteuerung hätte bezahlen müssen.
Rz. 62
Handlungsempfehlung für den Testamentsvollstrecker
Keinesfalls darf der Testamentsvollstrecker in diesen Fällen der Versuchung unterliegen, den Erben "etwas Gutes tun" zu wollen. Die Gefahr der Aufdeckung ist extrem hoch und damit auch die der eigenen Strafbarkeit. Werden Bankenmitarbeiter aufgrund von (General-)Vollmachten für den Vorstand tätig, dürften auch arbeitsrechtliche Folgen nicht ausgeschlossen sein. Schließlich darf auch der Imageschaden für das eigene Institut nicht übersehen werden. Es gibt daher nur eine Option: Die berichtigende Steuererklärung ist notfalls auch gegen den Willen der Erben abzugeben.