Dipl.-Betriebsw. Thomas Markert, Christopher Üink
Rz. 40
Die FBUB 2010 bringen an mehreren Stellen zum Ausdruck, dass als Objekt des Risikos der Betrieb zu identifizieren ist.
Rz. 41
Die FBUB 2010 teilen jedoch das Schicksal ihrer Vorversionen, dass sie eine Legaldefinition des Begriffs Betrieb nicht vorsehen. Insofern stellt sich im Rahmen der Auslegung zunächst die Frage, wie der Begriff Betrieb vom durchschnittlichen Unternehmer verstanden wird, da sich die Auslegung bei Spezialversicherungen, wozu die Betriebsunterbrechungsversicherung zählt, nach dem Verständnis der beteiligten Kreise richtet, also dem Verständnis, wie es in Unternehmerkreisen zu erwarten ist. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird der Begriff Betrieb in der Regel umschrieben als örtliche, technische und organisatorische Einheit zum Zwecke der Erstellung von Gütern und Dienstleistungen. Diese Begriffsdefinition ist zwangsläufig mit der Voraussetzung verbunden, dass der Betrieb eine örtliche und organisatorische Einheit bildet.
Rz. 42
Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherung hat sich auch von einer Auslegung, welche sich nahe an der betriebswirtschaftlichen Betriebsdefinition orientiert, gelöst, so dass gemäß dem BGH das Objekt der FBUB, und somit der versicherten Betrieb, nicht nur der technische Betrieb, sondern das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit ist. Vom Betrieb zu unterscheiden ist das Unternehmen, das eine örtlich nicht gebundene, wirtschaftlich-finanzielle und rechtliche Einheit bildet. Der Begriff des Unternehmens geht weiter als der des Betriebs, deckt sich aber im Einzelfall mit ihm; ein Unternehmen kann mehrere Betriebe umfassen.
Rz. 43
Die Relevanz, die mit der Auslegung des Begriffs Betrieb durch den BGH verbunden ist, lässt sich insbesondere an der nachfolgend diskutierten Thematik der Wechselwirkungsschäden festmachen:
Fußhoeller/John, Mitglieder der Bedingungskommission zu den FBUB 55, beschreiben Wechselwirkungsschäden zunächst als "Auswirkungen einer Betriebsunterbrechung in einer Betriebsabteilung auf andere Betriebsabteilungen desselben Eigentümers, gleichgültig, ob sie auf demselben oder auf verschiedenen Grundstücken liegen, sofern sie im Versicherungsschein als Betriebsstelle bezeichnet sind. Diese Art von Schäden sind ohne weitere Vereinbarung mitversichert." Darüber hinaus bemerken sie: "Nicht versichert sind jedoch Wechselwirkungsschäden, die zwischen mehreren, durch besondere [Hervorhebung durch Verfasser] Versicherungsscheine beurkundeten Betrieben desselben Eigentümers – beispielsweise zwischen Spinnerei und Weberei – entstehen."
Schneider schließt sich wohl dieser Meinung an und stellt fest: "Aus dem Wortlaut der Regelung des § 3 (1) FBUB 55 ergibt sich, dass der Betrieb versichert ist, womit Wechselwirkungsschäden zwischen Abteilungen des Betriebs gedeckt werden, nicht aber Wechselwirkungsschäden zwischen verschiedenen Betrieben desselben Eigentümers." Diese Auffassung steht im Widerspruch zur dargelegten Rechtsprechung des BGH, welche den Begriff des versicherten Betriebs als Unternehmen und wirtschaftliche Einheit definiert und der versicherte (Gesamt-)Betrieb somit aus vielen einzelnen Betrieben bestehen kann. Der Wortlaut der Regelung lässt die Schlussfolgerung von Schneider darüber hinaus gar nicht zu. Der Schaden muss gem. § 3 Abs. 1 FBUB 55 auf "einem" und nicht "dem" Grundstück stattfinden. Die von Schneider geforderte Auslegung des Begriffs Betrieb i.S. einer örtlichen Einheit wird von dem Wortlaut nicht gestützt, sondern vielmehr zurückgewiesen. Nichts anderes ergibt sich auch aus den FBUB 2008/2010. Vor diesem Hintergrund verdient die Umschreibung von Farny den Vorzug, der unter Wechselwirkungsschäden alle Fälle versteht, in denen der versicherte Betrieb aus mehreren räumlich, sachlich oder sogar rechtlich selbstständigen Einheiten besteht, so dass Sachschaden und Betriebsunterbrechung an einer Stelle eine weitere Betriebsunterbrechung an anderer Stelle des Unternehmens auslösen können.
Rz. 44
Eine abschließende Bewertung, inwieweit die Wechselwirkungsschäden eines Unternehmens mitversichert sind, kommt aber ohne die Würdigung der vertraglichen Gestaltung nicht aus. Sind die einzelnen Betriebe, die einem Unternehmen als wirtschaftliche Einheit zugehörig sind, im Rahmen eigenständiger Versicherungsverträge versichert, so begrenzt die Vertragseinheit die wirtschaftliche Einheit, die als versicherter Betrieb identifiziert werden kann; aus den Wechselwirkungsschäden werden sodann Rückwirkungsschäden (vgl. Rdn 39). Hieraus kann eine signifikante Reduzierung des Versicherungsschutzes folgen, so dass es zu deren Vermeidung übliche Praxis ist, sämtliche Betriebe einer Unternehmensgruppe über einen Vertrag zu versichern, damit untereinander bestehende Abhängigkeiten als Wechselwirkungsschäden zu klassifizieren und somit ohne Einschränkung abzusichern.