Angelika Wimmer-Amend, Michael Merten
a) Typischer Sachverhalt
Rz. 168
Die A-GmbH ist ein Handwerksbetrieb mit 5 Mitarbeitern. Seit Juli 2020 begleicht sie aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten ihre Verbindlichkeiten zunehmend schleppend und unvollständig. Auf erste Mahnungen von Lieferanten hin werden Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen, aber nur teilweise erfüllt. Ab Oktober 2020 entstehen auch gegenüber den Krankenkassen und dem Finanzamt Rückstände, die sich trotz noch erfolgender Zahlungen kontinuierlich erhöhen. Die Schuldnerin sieht sich nun regelmäßig Zwangsvollstreckungsversuchen ausgesetzt, die fruchtlos bleiben. Seit Januar 2021 erhalten schließlich auch die Arbeitnehmer nur noch unregelmäßig ihren Lohn.
Über das Vermögen der A-GmbH wird am 1.8.2021 auf einen Insolvenzantrag der K-Krankenkasse vom 4.4.2021 hin das Insolvenzverfahren eröffnet.
Bei Durchsicht der Buchhaltungsunterlagen und der Kontoauszüge der Schuldnerin stellt sich heraus, dass diese im Februar 2021 noch Forderungen der G-GmbH über 8.500 EUR beglichen hat. Zuvor hatte die Fa. B Insolvenzantrag gestellt, den sie nach erfolgter Zahlung für erledigt erklärte.
b) Rechtliche Grundlagen
Rz. 169
Die insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften der §§ 129 bis 146 InsO ermöglichen dem Insolvenzverwalter, solche Vermögensverschiebungen des schuldnerischen Vermögens rückgängig zu machen, durch die einzelne Gläubiger zum Nachteil der Gläubigergesamtheit noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bessergestellt wurden.
Soweit der Schuldner Vermögensverschiebungen nach Insolvenzeröffnung vorgenommen hat, sind diese ohnehin gegenüber der Insolvenzmasse unwirksam (§ 81 InsO).
Rz. 170
Das Recht zur Insolvenzanfechtung und die Geltendmachung der Rückgewähransprüche steht ausschließlich dem Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren zu. Die Anfechtungsbefugnis erlischt mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens.
Die Anfechtung begründet einen zivilrechtlichen Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters zur Masse (§ 143 Abs. 1 InsO). Es ist das in die Masse zu erstatten, was der Masse durch die anfechtbare Rechtshandlung entzogen wurde. Die Masse ist so zu stellen, wie sie ohne die anfechtbare Rechtshandlung gestanden hätte.
Gewährt der Empfänger einer anfechtbaren Leistung das Erlangte zurück, so lebt seine Forderung wieder auf, § 144 Abs. 1 InsO, mit der Folge, dass er seine Ansprüche als Insolvenzgläubiger durch Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend machen kann.
Für Insolvenzanfechtungsklagen ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet, mit einer Ausnahme: Klagen gegen Arbeitnehmer des Schuldners auf Rückgewähr geleisteter Vergütung sind vor den Arbeitsgerichten geltend zu machen. Der Anfechtungsanspruch verjährt in drei Jahren seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 146 InsO i.V.m. § 195 BGB.
Von der Anfechtung erfasst sind Tatbestände aus unterschiedlichen Zeiträumen vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie aus dem Zeitraum danach bis zur Verfahrenseröffnung. Anknüpfungszeitpunkt für die Berechnung der entsprechenden Fristen vor dem Insolvenzantrag ist der Anfang des Tages, an dem der erste Eröffnungsantrag beim zuständigen Insolvenzgericht eingegangen ist, § 139 InsO.
Nach § 143 Abs. 1 InsO ist der Rückgewähranspruch erst ab Schuldnerverzug bzw. unter den Voraussetzungen des § 291 BGB zu verzinsen.
c) Anfechtungsvoraussetzungen
aa) Gläubiger benachteiligende Rechtshandlung (§ 129 InsO)
Rz. 171
Die insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbestände sind in §§ 129 ff. InsO geregelt.
Jeder Anfechtungstatbestand setzt eine Rechtshandlung oder ein entsprechendes Unterlassen voraus, § 129 Abs. 1 und 2 InsO. Jede Rechtshandlung ist dabei für sich auf ihre Anfechtbarkeit hin zu prüfen. Rechtshandlung ist jede bewusste Willensbetätigung, die eine rechtliche Wirkung auslöst. Der Begriff ist bewusst weit gefasst, um möglichst jede rechtlich erhebliche Handlung erfassen zu können, die das schuldnerische Vermögen zum Nachteil der Gläubiger verändert. Ob die Wirkung selbst gewollt war, ist unerheblich.
Weitere Voraussetzung der Anfechtung ist gem. § 129 Abs. 1 InsO eine auf der Rechtshandlung beruhende Gläubigerbenachteiligung. Eine Gläubigerbenachteiligung liegt dann vor, wenn die Rechtshandlung die Schuldenmasse entweder vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt hat und dadurch der Zugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert oder verzögert wurde.
Der Insolvenzverwalter hat das Vorliegen der Gläubigerbenachteiligung zu beweisen. Es bestehen jedoch vielfach Beweiserleichterungen.
Zahlungen des Schuldners aus einer lediglich geduldeten Kontoüberziehung stehen der Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen. Ebenso stellt die Zahlung der Arbeitnehmeranteile zu den Gesamtversicherungsbeiträgen trotz § 28e SGB IV eine anfechtbare mittelbare Zuwendung des Arbeitgebers aus seinem Vermögen an die Einzugsstellen dar.