Angelika Wimmer-Amend, Michael Merten
aa) Gläubiger benachteiligende Rechtshandlung (§ 129 InsO)
Rz. 171
Die insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbestände sind in §§ 129 ff. InsO geregelt.
Jeder Anfechtungstatbestand setzt eine Rechtshandlung oder ein entsprechendes Unterlassen voraus, § 129 Abs. 1 und 2 InsO. Jede Rechtshandlung ist dabei für sich auf ihre Anfechtbarkeit hin zu prüfen. Rechtshandlung ist jede bewusste Willensbetätigung, die eine rechtliche Wirkung auslöst. Der Begriff ist bewusst weit gefasst, um möglichst jede rechtlich erhebliche Handlung erfassen zu können, die das schuldnerische Vermögen zum Nachteil der Gläubiger verändert. Ob die Wirkung selbst gewollt war, ist unerheblich.
Weitere Voraussetzung der Anfechtung ist gem. § 129 Abs. 1 InsO eine auf der Rechtshandlung beruhende Gläubigerbenachteiligung. Eine Gläubigerbenachteiligung liegt dann vor, wenn die Rechtshandlung die Schuldenmasse entweder vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt hat und dadurch der Zugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert oder verzögert wurde.
Der Insolvenzverwalter hat das Vorliegen der Gläubigerbenachteiligung zu beweisen. Es bestehen jedoch vielfach Beweiserleichterungen.
Zahlungen des Schuldners aus einer lediglich geduldeten Kontoüberziehung stehen der Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen. Ebenso stellt die Zahlung der Arbeitnehmeranteile zu den Gesamtversicherungsbeiträgen trotz § 28e SGB IV eine anfechtbare mittelbare Zuwendung des Arbeitgebers aus seinem Vermögen an die Einzugsstellen dar.
bb) Anfechtung bei kongruenter Deckung (§ 130 InsO)
Rz. 172
Gem. § 130 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger in den letzten drei Monaten vor den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO) oder nach diesem Antrag (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO) eine Sicherung oder Befriedigung gewährt hat (kongruente Deckung). Wann eine Rechtshandlung vorgenommen worden ist, bestimmt sich nach § 140 InsO. Voraussetzung ist außerdem die Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit bzw. von dem Insolvenzantrag. Im Fall des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO zusätzlich das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit. Gem. § 130 Abs. 2 InsO genügt die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf Zahlungsunfähigkeit oder auf Kenntnis des Eröffnungsantrages schließen lassen. Entgegen dem ursprünglichen Gesetzesentwurf genügt grob fahrlässige Unkenntnis nicht.
Insolvenzgläubiger ist dabei jeder, der seinen Vermögensanspruch nur als Insolvenzforderung hätte geltend machen können, wenn er die Sicherung oder Befriedigung nicht erlangt hätte.
Rz. 173
Die Beweislast hinsichtlich des Vorliegens der objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen obliegt grundsätzlich dem Insolvenzverwalter. Bei einer Anfechtung gegenüber Personen, die dem Insolvenzschuldner zur Zeit der Handlung i.S.v. § 138 InsO nahe standen, wird die Beweislast für die das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis umgekehrt, § 130 Abs. 3 InsO.
Der Schuldner kann als Zeuge vernommen werden, da er nicht Partei ist.
cc) Anfechtung bei inkongruenter Deckung (§ 131 InsO)
Rz. 174
Nach § 131 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit hätte beanspruchen können (inkongruente Deckung). Die Anfechtungsmöglichkeiten werden bei Inkongruenz deutlich erweitert.
Rz. 175
Dabei wird bei Anfechtungshandlungen, die gem. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag oder nach dem Antrag erfolgen, die Zahlungsunfähigkeit unwiderleglich vermutet. Neben der Inkongruenz bestehen in diesem Zeitraum keine weiteren Voraussetzungen.
Rz. 176
Bei einer Anfechtung gem. § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO muss der Schuldner zum Zeitpunkt der Leistungsgewährung objektiv zahlungsunfähig gewesen sein, ohne dass dies dem Gläubiger bekannt gewesen sein muss. Alternativ genügt es gem. § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO bei fehlendem Nachweis der objektiven Zahlungsunfähigkeit, wenn dem Anfechtungsgegner bekannt gewesen ist, dass durch diese Leistung Insolvenzgläubiger benachteiligt werden. Ausreichend ist die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Benachteiligung schließen lassen, § 131 Abs. 2 InsO. Gegenüber einer nahestehenden Person i.S.v. § 138 InsO wird vermutet, dass sie die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger kannte, § 131 Abs. 2 S. 2 InsO. Die Beweislast für die Tatbestandsvoraussetzungen des § 131 InsO liegt im Übrigen bei dem Insolvenzverwalter.
Rz. 177
Inkongruenz liegt beispielsweise vor,
▪ |
wenn der Schuldner statt einer geschuldeten Barzahlung eine andere Leistung erbringt (z.B. Abtretung einer Forderung, Hingabe von Waren); |
▪ |
bei sog. Druckzahlungen, die der Schuldner unter dem Druck der drohenden Zwangsv... |