Angelika Wimmer-Amend, Michael Merten
I. Typischer Sachverhalt
Rz. 74
Mandant M ist Geschäftsführer der Fa. A-GmbH, über deren Vermögen die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wurde. Er möchte wissen, ob er noch Handlungsbefugnisse besitzt oder seine gesamte Geschäftstätigkeit einzustellen und dem vorläufigen Insolvenzverwalter zu überlassen hat.
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 75
Der Schuldner ist sowohl in dem vorläufigen Insolvenzverfahren als auch in dem eröffneten Insolvenzverfahren zur Auskunft und Mitwirkung gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter verpflichtet, §§ 20, 97 ff. InsO.
Gem. § 20 Abs. 1 S. 2 betrifft die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten auch die Mitglieder von Vertretungs- und Aufsichtsorganen juristischer Personen (z.B. Geschäftsführer, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder) und vertretungsberechtigte persönlich haftende Gesellschafter. Überdies sind auch Angestellte des Schuldners entsprechend verpflichtet, sowie der faktische Geschäftsführer. Die Pflicht ist höchstpersönlich.
Ausgeschiedene in § 101 InsO genannte Personen sind bis zu zwei Jahren seit ihrem Ausscheiden zur Auskunft und Mitwirkung verpflichtet. Der Inhalt der Auskunftspflicht im vorläufigen Insolvenzverfahren bezieht sich auf alle Tatsachen, die zur Entscheidung über den Insolvenzantrag erforderlich sind einschließlich der sonstigen Entscheidungen, die das Gericht treffen kann. Hierzu gehören z.B. die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (siehe Rdn 73), die Anordnung der Eigenverwaltung oder eines Insolvenzplanverfahrens sowie die Entscheidung über die Stundung der Verfahrenskosten.
Der Schuldner hat die Vermögenslage umfassend darzustellen, insbesondere eine geordnete Übersicht über seine Vermögensgegenstände und ein Verzeichnis seiner Gläubiger und Schuldner vorzulegen. Die Auskunftspflicht ist umfassend und bezieht sich überdies auf alle rechtlichen und betrieblichen Verhältnisse des schuldnerischen Unternehmens.
In dem eröffneten Verfahren besteht die Pflicht gegenüber allen Verfahrensbeteiligten (Gericht, Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss und ggf. Gläubigerversammlung) und richtet sich auf Auskunft und Mitwirkung auf alle das eröffnete Verfahren betreffende Verhältnisse tatsächlicher und rechtlicher Art.
Der Schuldner hat auch solche Tatsachen zu offenbaren, die ggf. eine strafbare Handlung darstellen. Sollte sich der Schuldner oder ein Angehöriger des Schuldners bei der Erfüllung der Auskunftspflicht einer Gefahr der Verfolgung wegen einer strafbaren Handlung oder einer Ordnungswidrigkeit aussetzen, so dürfen die erteilten Auskünfte nicht ohne Zustimmung des Schuldners in einem Straf-/OWiG-Verfahren verwertet werden, § 97 Abs. 1 S. 2 und 3 InsO.
Verweigert eine hierzu verpflichtete Person die Auskunft oder Mitwirkung oder gibt Anlass zu der Annahme, er werde fliehen, kann das Gericht unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Beugemaßnahmen anordnen, insbesondere die Vorführung des Schuldners und – nach Anhörung des Schuldners – Zwangshaft, § 98 InsO.
Die vermögensrechtliche Stellung des Schuldners im vorläufigen Insolvenzverfahren richtet sich nach dem Beschluss des Insolvenzgerichts.
Ordnet das Gericht ein Verfügungsverbot gem. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Hs. 1 InsO an, hat der Schuldner keine Befugnis mehr, Vermögensverfügungen vorzunehmen. Befugt ist ausschließlich der vorläufige Insolvenzverwalter. Im Fall der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts gem. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO sind Verfügungen nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam.
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gem. § 80 InsO die Vermögensverfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über. Jede Verfügung des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse ist dann unwirksam, § 81 InsO.
III. Exkurs: Freigabe des schuldnerischen Unternehmens durch den Insolvenzverwalter
Rz. 76
Der Insolvenzverwalter kann einzelne Vermögensgegenstände und sogar ggf. den gesamten schuldnerischen Geschäftsbetrieb an den Schuldner freigeben. Die Freigabe von Vermögensgegenständen ist in der InsO nicht ausdrücklich geregelt. Die Zulässigkeit der Freigabeerklärung ist lediglich in § 32 Abs. 3 InsO erwähnt. Gibt der Insolvenzverwalter einen Massegegenstand frei, unterliegt dieser als sonstiges Vermögen des Schuldners dem Vollstreckungsverbot gem. § 89 Abs. 1 InsO. In Betracht kommt die Freigabe, wenn der Aufwand für eine Verwertung höher ist als der zu erwartende Masseerlös. U.U. muss die Freigabe sogar erklärt werden, wenn der Gegenstand nicht verwertbar ist und die Insolvenzmasse durch ihn lediglich belastet wird.
Wenn der Insolvenzschuldner als Einzelunternehmer während des Insolvenzverfahrens selbstständig wirtschaftlich tätig ist oder wird, hat der Insolvenzverwalter zu entscheiden, ob der Schuldner die Tätigkeit mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse ausübt, oder ob die selbstständige Tätigkeit aus dem Insolvenzverfahren freigegeben wird. Gem. § 35 Abs. 2 InsO hat der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht, o...