Angelika Wimmer-Amend, Michael Merten
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 60
Mandant M ist seit sieben Jahren bei der Fa. A-GmbH angestellt. Er hat vergeblich und zum dritten Mal seinen seit zwei Monaten rückständigen Arbeitslohn bei dem Arbeitgeber angemahnt. Gerade einen halben Monatslohn hat er kürzlich erhalten. M hat von Zahlungsschwierigkeiten seines Arbeitgebers gehört. Er überlegt nun, einen Insolvenzantrag zu stellen. Er fragt, ob er jetzt seine Arbeitskraft weiterhin dem Arbeitgeber zur Verfügung stellen muss und wie sich dies in einem Insolvenzverfahren verhält. Außerdem fragt er, wie er seinen Lebensunterhalt derzeit sicherstellen kann, da die Mittel knapp geworden sind.
2. Rechtliche Grundlagen
Rz. 61
Dem Arbeitnehmer steht vor Insolvenzeröffnung nur bei erheblichen Lohnrückständen ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung zu. Erheblich ist der Rückstand i.d.R. bei Lohnverzug mit mehr als zwei Monatsgehältern. Verweigert der Arbeitnehmer in diesem Fall seine Leistung, gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug. Erhält der Arbeitnehmer in der kritischen Zeit (Teil-)Zahlungen auf seinen Lohn, liegt regelmäßig ein Bargeschäft i.S.v. § 142 InsO vor (§ 142 Abs. 2 S. 2 InsO), so dass diese Zahlungen in einem anschließenden Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter nicht angefochten werden können.
Auch Arbeitnehmer können, wie alle anderen Gläubiger, Insolvenzantrag nach den o.g. allgemeinen Regelungen stellen. Neben ihrer Forderung aus dem Arbeitsverhältnis haben auch sie das Vorliegen eines Insolvenzgrundes glaubhaft zu machen.
Die auf den Zeitraum vor Verfahrenseröffnung entfallenden offenen Lohnforderungen sind grundsätzlich normale Insolvenzforderungen. Lohnansprüche des Arbeitnehmers bis zu einem Zeitraum von drei Monaten vor Insolvenzeröffnung sind jedoch durch den Anspruch auf Insolvenzgeld abgesichert, § 165 SGB III. Den Antrag auf Insolvenzausfallgeld stellt der Arbeitnehmer bei der Bundesagentur für Arbeit bei seinem örtlich zuständigen Arbeitsamt. Der Anspruch auf Insolvenzgeld besteht auch dann, wenn das Verfahren nicht eröffnet wird oder die Geschäftstätigkeit eingestellt wurde. Auch geringfügig Beschäftigte (§ 27 Abs. 2 SGB III) und Handlungsgehilfen sind anspruchsberechtigt.
Ein Anspruch auf Insolvenzgeld entsteht erst mit dem Insolvenzereignis, d.h. i.d.R. mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine Vorschussgewährung durch die Arbeitsagentur ist nur für tatsächlich und rechtlich beendete Arbeitsverhältnisse (die Kündigung oder Freistellung allein genügt nicht) vorgesehen, § 168 SGB II. Für den Fall, dass die Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt nicht mehr sicherstellen können, besteht die Möglichkeit, bei der Bundesagentur für Arbeit (Jobcenter, ARGE) Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. auf Arbeitslosengeld stellen. Weitere Informationen, insbesondere ein Merkblatt, und die Antragsformulare stellt die Bundesagentur für Arbeit auf der Seite www.arbeitsagentur.de zur Verfügung.
Bei einem laufenden Geschäftsbetrieb wird das Insolvenzgeld jedoch, wenn für das Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose besteht und wenn Tatschen die Annahme rechtfertigen, dass ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt, zumeist auf Betreiben des vorläufigen Insolvenzverwalters vorfinanziert, um die Betriebsfortführung zu ermöglichen. Ein Anspruch auf Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes durch den vorläufigen Insolvenzverwalter besteht jedoch nicht.
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt der Insolvenzverwalter an die Stelle des eigentlichen Arbeitgebers. Er hat nun über den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse zu entscheiden. Sofern nicht eine kürzere Kündigungsfrist in dem Arbeitsvertrag vorgesehen ist, beträgt die Kündigungsfrist maximal drei Monate, wenn keine kürzere maßgeblich ist, § 113 S. 2 InsO. Eine Freistellung des Arbeitnehmers ist möglich. Der Lohnanspruch besteht bis zum Ende der jeweiligen Kündigungsfrist aber grundsätzlich fort. Zu den Arbeitsverhältnissen im Insolvenzverfahren siehe Rdn 136 ff.