Rz. 33

Nach der geschilderten Aufarbeitung des bestehenden Konfliktstoffs in dieser Unternehmensnachfolge bzw. der für eine Unternehmensnachfolgeplanung wichtigen Themen und zugrunde liegenden Interessen folgt die nächste Stufe im Mediationsverfahren, die sogenannte Optionen- bzw. Lösungsentwicklung.[20] Es geht hier darum zu schauen, welche Ideen, alternative Wahlmöglichkeiten, bisher nicht angedachte Lösungswege, Spekulationen, Träume im Wege der kreativen Planung und zukunftsorientierten Denken im weitesten Sinne möglich wären.

All diese Optionen werden rein als provisorische, partielle, vorrangige oder nachrangige Möglichkeiten gesucht und entwickelt. Es gibt Optionen, die nur unter dem Aspekt des eigenen Nutzens oder des eigenen Vorteils entwickelt werden oder aber auch unter dem Aspekt eines gemeinsamen Vorteils. Die Beteiligten entwickeln Optionen aber auch unter Ausgrenzung einzelner Themenbereiche oder Konfliktpunkte. Wenn man nur Lösungen für einen Teilbereich sucht, so finden sich mitunter schneller Ideen und Anregungen, als wenn man alle Themenbereiche auf einmal löst. Häufig ergeben sich aus diesen Teilbereichslösungen dann unter Einbeziehung der noch ausgegrenzten Punkte später weitere Lösungen für das Gesamtsystem. In dieser Phase des allgemeinen Brainstorming können auch sehr wohl Optionen und Anregungen von anderen Bezugs- oder Fachpersonen mit einfließen. Diese sind zwar nicht in der Mediation aktiv beteiligt, die Beteiligten haben aber mit ihnen z.B. in längeren Pausen gesprochen und dadurch auch weitere Anregungen für Lösungsentwicklungen erhalten, die nun mit eingebracht werden können.

 

Rz. 34

Häufig wird hierbei auch mit dem sogenannten BATNA/WATNA Prinzip nach den Entwicklern des Harvard-Konzepts Fischer und Ury gearbeitet. Was wäre die beste Alternative (BATNA = Best Alternative To a Negotiated Agreement) oder was wäre die schlechteste Alternative (WATNA = Worst Alternative To a Negotiated Agreement) für diese Unternehmensnachfolge?

 

Beispiel

Was würde der Übergeber tun, wenn er über höheres Kapital verfügte?

Was würde die Tochter tun wollen, wenn das Unternehmen aufgrund einer Katastrophe unterginge?

Was wäre, wenn morgen alle Mitarbeiter nur noch zu deren individueller Wunscharbeitszeit in den Betrieb kämen?

 

Rz. 35

Die Entwicklung von Wahlmöglichkeiten muss vom Mediator gefördert werden, da die Beteiligten in der kreativen Entwicklung von weiteren Optionen häufig nicht geschult sind. Nur wenige Menschen sehen in Verhandlungen die Notwendigkeit zur Entwicklung verschiedener Wahlmöglichkeiten ein. In einer Auseinandersetzung glauben die meisten Leute, dass sie die richtige Antwort schon kennen, und wollen, dass ihre Sicht der Dinge die Oberhand behält. In Vertragsverhandlungen glaubt jeder, dass sein Angebot vernünftig sei und angenommen werden sollte, eventuell mit kleineren Korrekturen. Der scheinbar einzige kreative Weg ist mitunter der, die Differenz zwischen der eigenen Ansicht und der des Gegenübers zu halbieren.

 

Rz. 36

Da die kritische Beurteilung jegliche Phantasie behindert, muss man den kreativen vom kritischen Prozess trennen, d.h. man muss das Ausdenken möglicher Entscheidungen vom Vorgang der Beurteilung dieser Entscheidung abspalten. Erst erfinden, dann entscheiden. In der Mediation wird deswegen im Rahmen der Optionenentwicklung einem Zusammentragen von Ideen mittels eines Brainstormings Raum gegeben. Damit kann man die Entwicklung von Ideen sehr wirkungsvoll vom eigentlichen Entscheidungsprozess abkoppeln. In ein solches Brainstorming sollten so viele Ideen wie möglich einfließen, die einer Lösung des anstehenden Problems bzw. der anstehenden Unternehmensnachfolge dienlich sein können. Die Grundregel ist dabei, jegliche Kritik und Bewertung dieser Ideen erst einmal hintanzustellen. In dieser Stufe ist der Mediator weniger Vermittler, sondern eher Entwicklungshelfer für neue Ideen. Nach dem Brainstorming wird den Beteiligten die Möglichkeit gegeben, das kreativ Entwickelte zu reflektieren. Es geht dann darum, zu schauen, welche Ideen für die weitere Entwicklung geeignet sind. Häufig ergeben sich aus dieser Kreativarbeit und dem anschließenden Reflektieren zwei oder mehr Wege, die in die weitere Lösungsfindung zum Teil durch Kombination, zum Teil durch Gegenideen einfließen und damit das Entwickeln einer tragbaren Lösung möglich machen.

[20] Wiese/Born, Unternehmensnachfolge, Tz 17.150 ff.; Fries/Lenz-Brendel/Roglmeier, ZErb 2018, 53, 55.

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