I. Eichung
1. Gültigkeitsdauer
Rz. 51.1
Wie alle Messgeräte müssen auch Geschwindigkeitsmessgeräte geeicht sein, § 2 Eichgesetz (OLG Köln VRS 67, 462). Zu den an eine Eichung zu stellenden Anforderungen siehe OLG Köln NZV 2002, 471.
Rz. 52
Achtung: Urteilsgründe
Die Tatsache, dass eine gültige Eichung vorlag, muss dem Urteil zu entnehmen sein (OLG Frankfurt zfs 2001, 233; OLG Oldenburg NZV 2013, 512; OLG Koblenz zfs 2014, 530), weshalb eine durch Verlesung prozessordnungsgemäß erfolgte Einführung des Eichscheines in die Hauptverhandlung sich aus dem Protokoll ergeben muss (OLG Hamm NZV 2010, 215).
Die Eichung ist bis zum Ende des auf die Eichung folgenden Kalenderjahres gültig (§ 12 EichO); sie muss allerdings am Gerät selbst mit einer ordnungsgemäß angebrachten und unbeschädigten Eichplombe dokumentiert sein (OLG Köln zfs 2002, 453). Im Verfahren wird die Eichung durch den Eichschein nachgewiesen, der, obwohl er als Beweismittel zu den Akten gehört, von vielen Polizeidienststellen vorschriftswidrig zurückgehalten wird.
Rz. 53
Zu den dem Einsichtsrecht des Verteidigers unterliegenden Akten gehören alle verfahrensbezogenen Unterlagen, also auch der Eichschein. Die rechtswidrige Handhabung mancher Polizeidienststellen, die Herausgabe des Eichscheines zu verweigern und ihn erst in der Hauptverhandlung vorzulegen, wird der Verteidiger am ehesten dadurch unterbinden können, dass er jeweils Aussetzung der Hauptverhandlung beantragt, um sich sachverständig beraten lassen zu können.
Rz. 54
Achtung: Ersetzung durch Zeugenaussage
Die Ausstellung des Eichscheines hat gerade den Sinn, die Eichung anhand eines amtlichen Dokumentes überprüfen zu können. Deshalb ist die Entscheidung des BayObLG (DAR 2004, 533) nicht nachzuvollziehen, die es für zulässig hält, einen Antrag auf Vorlage des Eichscheines dann abzulehnen, wenn ein bayerischer Polizist bestätigt, dass das Messgerät ordnungsgemäß geeicht war.
2. Gerätereparatur
Rz. 55
Nach einer Reparatur des Gerätes erlischt die Eichung (AG Wolfsburg NZV 1993, 84; einschränkend: OLG Celle NZV 1992, 202).
3. Tipp: Umgerüstetes Polizeifahrzeug
Rz. 56
Nach der Umrüstung von Winter- auf Sommerreifen oder umgekehrt, bzw. Reifen anderer Größe sind Nachfahrmessungen ohne erneute Geräteeichung unzulässig, zumindest sind höhere Toleranzen vorzunehmen (OLG Celle NZV 1997, 188; OLG Hamm DAR 2011, 538).
4. Verwertung bei fehlender oder nicht mehr gültiger Eichung
Rz. 57
Nach Auffassung des OLG Koblenz (Urt. v. 19.1.2005 - 1 Ss 349/04) darf ein mit einem ungeeichten, bzw. nicht mehr gültig geeichten, Messgerät ermitteltes Ergebnis nicht verwertet werden. Das OLG begründet das zu Recht damit, dass es nicht angängig sei, wenn der Staat auf der einen Seite seinen Bürgern die Verwendung ungeeichter Messgeräte unter Bußgeldandrohung untersage, gleichzeitig selbst aber ein unter Verletzung der einschlägigen Vorschriften gewonnenes Ergebnis in einem Bußgeld- oder Strafverfahren verwenden wolle.
Das Kammergericht (KG NZV 1995, 456) sieht dagegen kein Beweisverwertungsverbot, sondern fordert nur höhere, u.U. bis zu 20 % betragende (KG NZV 1995, 37) Abzüge, während das OLG Celle (NZV 1996, 419) die Anhörung eines Sachverständigen zur Verwertbarkeit und zur Höhe der zuzubilligenden Toleranz verlangt.
Rz. 58
Tipp: Von der Eichung unabhängige Fehlerquelle
Der Grund für die in gewissen Zeitabständen zu wiederholende Eichung liegt im normalen Verschleiß, welchem selbstverständlich auch Messgeräte unterliegen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gerät fehlerhaft arbeitet, nimmt zum Ende der Eichgültigkeit hin zu. So wiesen z.B. im Jahre 1988 ausweislich der Statistik der Eichbehörden aller Bundesländer mehr als 10 % der nachzueichenden Geräte so große Fehler auf, dass sie ohne Reparatur nicht eichfähig waren.
II. Toleranzabzug
Rz. 59
Auch bei fehlerfrei arbeitenden und unter Beachtung der Bedienungsanleitung eingesetzten Messgeräten muss bei Messungen ein Sicherheitsabzug in Höhe der Verkehrsfehlergrenze gemacht werden. Deren Höhe gibt § 33 EichO i.V.m. der Anlage 18 Abschnitt 11 Nr. 4.2. vor, nämlich bei Geschwindigkeiten bis zu 100 km/h 3 km/h und bei darüber liegenden 3 % der ermittelten Geschwindigkeit.
Rz. 60
Diese (Mindest-)Werte sind für die Praxis der Verkehrsüberwachung verbindlich. Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass im alltäglichen Einsatz auch bei genauer Einhaltung der Bedienungsanleitung Fehler auftreten können, von denen jeder - isoliert betrachtet - wahrscheinlich nur Einfluss auf eine unbedeutende Dezimalstelle hat, die aber, was nie mit Sicherheit auszuschließen ist, in der Summe das Messergebnis nennenswert beeinflussen können (OLG Koblenz NZV 2003, 495).
Rz. 61
Der Gesetzgeber geht laut § 33 Abs. 1 EichO davon aus, dass auch bei ordnungsgemäß geeichten Messgeräten Messungenauigkeiten in Höhe der Verkehrsfehlergrenze vorkommen können, so dass die genannten Abzüge nach dem Zweifelsgrundsatz bei Messungen immer vorzunehmen sind. Mit diesem Abzug sind alle möglichen Differenzen berücksichtigt. Deshalb ist ein Beweisantrag, der nicht einen über diese Toleranz hinausgehenden Fehler behauptet, unbeachtlich (OLG Hamm NZV 2017, 194; OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.02.19 - Ss 7...