I. Indikation
Rz. 21
Die wichtigste rechtliche Voraussetzung zur Durchführung jeder ärztlichen Maßnahme ist neben der Einwilligung des Patienten die Indikation, die anhand des Standes der Wissenschaft für den jeweiligen Patienten in seiner konkreten klinischen Situation beurteilt wird. Zu entscheiden ist hierbei, ob die infrage kommende Maßnahme aus ärztlicher Sicht einen Nutzen für den Patienten hat, dahingehend welches Therapieziel mit der infrage kommenden Maßnahme angestrebt wird und ob das angestrebte Therapieziel durch diese Maßnahme mit einer realistischen Wahrscheinlichkeit zu erreichen ist. Erst wenn die Indikation nach diesen Maßstäben bejaht oder zumindest mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, wird der Patientenwille ermittelt und eröffnet die Möglichkeit zur Anwendung einer Patientenverfügung. Bei fehlender Indikation ist die Überprüfung des Patientenwillens entbehrlich – und damit auch die Einrichtung einer Betreuung. Durch eine Patientenverfügung kann ein Arzt nicht zu einer medizinisch nicht indizierten Behandlung bestimmt werden.
II. Gang der Entscheidung bei bestehender Einwilligungsfähigkeit
Rz. 22
Ist der Betroffene in der akuten Behandlungssituation noch einwilligungsfähig, entscheidet er über die ärztlichen Maßnahmen nach erfolgter ärztlicher Aufklärung selbst. Dies gilt auch bei einer bestehenden, anders lautenden Patientenverfügung und auch unabhängig davon, ob es einen gesetzlichen Betreuer/Vorsorgebevollmächtigten gibt.
III. Gang der Entscheidung mit bindender Patientenverfügung
Rz. 23
Nach festgestellter Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen (ggf. durch Hinzuziehung von Psychiatern/Psychologen) hat gem. § 1827 Abs. 1 S. 1 BGB der Betreuer/Bevollmächtigte zu prüfen, ob die Festlegungen in einer vorhandenen Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Hierzu muss zunächst zwingend die Prüfung des behandelnden Arztes, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist und die Erörterung dieser Maßnahmen mit dem Betreuer/Bevollmächtigten unter Berücksichtigung der Patientenverfügung erfolgen (§ 1828 Abs. 1 BGB). Hierbei soll auch nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist (§ 1828 Abs. 2 BGB). Da es sich bei dieser Regelung lediglich um eine Sollvorschrift handelt, führt deren Nichtbeachtung nicht zur Rechtswidrigkeit der Einwilligung oder Untersagung des Betreuers/Bevollmächtigten. Ergibt sich, dass die Festlegungen des Betroffenen in der Patientenverfügung auf die erörterte Situation zutreffend sind, ist die Patientenverfügung nach den oben ausgeführten Grundsätzen bindend und der Betreuer/Bevollmächtigte hat nach § 1827 Abs. 1 S. 2 BGB dem Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine betreuungsgerichtliche Genehmigung ist dann gem. § 1829 Abs. 4 BGB nicht erforderlich, weil es wegen des Fortwirkens der eigenen Entscheidung des Betroffenen keiner Einwilligung, Nichteinwilligung und keines Widerrufs der Einwilligung in die Maßnahme durch den Betreuer/Bevollmächtigten bedarf. Fraglich ist allerdings, wie zu verfahren ist, wenn es keinen Betreuer/Bevollmächtigten gibt, aber die Feststellungen ergeben, dass eine bindende Patientenverfügung vorhanden ist. Ein Rückschluss aus § 1827 BGB muss wohl dazu führen, dass für die Durchsetzung der in der Patientenverfügung festgelegten Einwilligung/Untersagung durch den Betroffenen ein Betreuungsverfahren angeregt werden muss.
IV. Gang der Entscheidung ohne bindende Patientenverfügung
1. Behandlungswünsche
Rz. 24
Hat der oben genannte Prüfungsablauf ergeben, dass keine oder keine zur aktuellen Lebens- und Behandlungssituation passende Patientenverfügung vorliegt, hat der Betreuer/Bevollmächtigte nach § 1827 Abs. 2 BGB die Behandlungswünsche festzustellen. Behandlungswünsche können etwa alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung i.S.d. § 1827 Abs. 1 BGB nicht genügen, etwa weil sie nicht schriftlich abgefasst wurden, keine antizipierenden Entscheidungen treffen oder von einem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden. Auch eine Patientenverfügung, die nicht sicher auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behandlungswunsch Berücksichtigung finden. Behandlungswünsche können auch im Vorfeld mündlich geäußert worden sein. Sie sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen. Auch hier muss der Arzt die o.g. Indikationsprüfung sowie die Erörterung mit dem Betreuer/Bevollmächtigten unter Einbindung der Angehörigen gem. § 1828 BGB vornehmen. Sind sich Arzt und Betreuer übe...