Rz. 28
Nach § 1827 Abs. 1 S. 2 BGB kann eine Patientenverfügung jederzeit formlos widerrufen werden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass eine einmal errichtete Patientenverfügung auch bis zu ihrem Widerruf wirksam ist. Wie bereits oben unter Rdn 11 ausgeführt, besteht keine gesetzlich normierte Pflicht, die Bestimmungen in bestimmten Zeitintervallen zu bestätigen bzw. zu aktualisieren, auch wenn sich dies aus den o.g. Gründen durchaus anbietet. Der Widerruf kann formlos, d.h. mündlich oder auch durch nonverbales Verhalten, zum Beispiel durch Handgesten oder Kopfschütteln, jederzeit widerrufen werden. Erforderlich ist nur, dass die Willensäußerung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt. Die Möglichkeit, die Patientenverfügung jederzeit formlos widerrufen zu können, soll den Betroffenen davor schützen, sich durch eine längst überholte Patientenverfügung zu binden. Auf die Widerruflichkeit einer Patientenverfügung kann nicht wirksam verzichtet werden. Der Widerruf entfaltet zwar Wirkung für medizinisches Personal und Betreuer/Bevollmächtigten, muss aber nicht diesen gegenüber erklärt werden, sondern kann gegenüber jedem Dritten vorgenommen werden.
Rz. 29
Leider enthält § 1827 Abs. 1 S. 2 BGB keine ausdrückliche Regelung dazu, ob für einen wirksamen Widerruf ebenfalls die Einwilligungsfähigkeit des Patienten gegeben sein muss. Diesbezüglich wird diskutiert, welche Auswirkungen ein solcher natürlicher (Lebens-)Wille auf die Bindungswirkung einer Patientenverfügung hat. Einerseits erscheine es menschenunwürdig, einen einwilligungsfähigen Patienten, der durch sein tatsächliches Verhalten zum Ausdruck bringe, dass er entgegen der Festlegungen in einer wirksamen Patientenverfügung doch am Leben bleiben wolle, also in lebensverlängernde Maßnahmen einwilligen würde, an seinem in der Patientenverfügung geäußerten Willen festzuhalten. Andererseits entwerte es das Instrument der Patientenverfügung und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, wenn der in einer Patientenverfügung festgelegte Wille bereits dann keine Geltung mehr haben solle, wenn die tatsächlichen Umstände einen entgegenstehenden natürlichen Willen zu indizieren scheinen oder Angehörige dies gar nur annehmen oder behaupten. Die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur verlangt für einen wirksamen Widerruf, dass der Betroffene noch einwilligungsfähig ist. Der Widerruf setze als actus contrarius wie die Patientenverfügung selbst die Einwilligungsfähigkeit voraus. Sofern der Betroffene nicht mehr einwilligungsfähig sei, könne auch in seinem aktuellen Verhalten keine (konkludente) Widerrufserklärung gesehen werden. Eine Patientenverfügung wäre weitgehend wertlos, würde man jegliches Widerstreben auch des einwilligungsunfähigen Patienten gegen die in der Patientenverfügung getroffene Entscheidung für den Widerruf genügen lassen.
Rz. 30
Jedoch soll auch nach der herrschenden Meinung der natürliche Wille nicht unberücksichtigt bleiben. Vielmehr sei im Rahmen der Prüfung, ob die Festlegungen einer wirksamen Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, der natürliche Wille von Bedeutung. So hat der Betreuer/Bevollmächtigte nach den Ausführungen des BGH auch zu hinterfragen, ob die Entscheidung noch dem Willen des Betroffenen entspricht, was die Prüfung einschließt, ob das aktuelle Verhalten des nicht mehr entscheidungsfähigen Betroffenen konkrete Anhaltspunkte dafür liefert, dass er unter den gegebenen Umständen den zuvor schriftlich geäußerten Willen nicht mehr gelten lassen will, und ob er bei seinen Festlegungen diese Lebenssituation mitbedacht hat. Nach der Gesetzesbegründung, an die auch der BGH anknüpft, können sich solche konkreten Anhaltspunkte beispielsweise aus situativ spontanem Verhalten des Patienten gegenüber vorzunehmenden oder zu unterlassenden ärztlichen Maßnahmen ergeben, nicht jedoch bei unwillkürlichen, rein körperlichen Reflexen.
Rz. 31
Liegt eine wirksame und auf die aktuelle Situation zutreffende Patientenverfügung vor, hat der Betroffene die Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen; dem Betreuer/Bevollmächtigten obliegt es dann nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Ergebe die Prüfung hingegen, dass die frühere selbstverantwortlich getroffene Entscheidung die tatsächliche aktuelle Lebenssituation nicht umfasst, weil sich die Sachlage nachträglich so erheblich geändert habe, könne der Betreuer/Bevollmächtigte von den getroffenen Festlegungen abweichen. Für die Rechtsprechung scheint zusammenfassend also bei der Frage, ob eine Patientenverfügung wirksam widerrufen wurde oder ein der Patientenverfügung entgegenstehender natürlicher Wille im konkreten Fall festzustellen ist oder nicht, eher im Mittelpunkt zu stehen, ob überhaupt eine wirksame Patientenverfügung vorliegt, beziehungsweise ob diese Festlegungen für die konkrete Behandlungssituation enthält. Auch der BGH verlang...