A. Allgemeines
I. Gesetzliche Grundlage
Rz. 1
Mit dem am 1.9.2009 in Kraft getretenen Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetz wurde eine erste gesetzliche Regelung zur Wirksamkeit und Reichweite von Patientenverfügungen geschaffen. Dieses Gesetz wurde mit dem seit dem 1.1.2023 geltenden Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts grundlegend modernisiert, nachdem sich gezeigt hatte, dass das Gebot größtmöglicher Selbstbestimmung von Menschen innerhalb der rechtlichen Betreuung nicht durchgängig zufriedenstellend verwirklicht war und es zudem Qualitätsmängel bei der praktischen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben gab, die dann auch Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen erforderlich machten. Die Regelungen die Patientenverfügung betreffend sind in den neuen §§ 1827–1830 BGB normiert, inhaltlich jedoch im Wesentlichen gleichgeblieben.
Rz. 2
Hinzugekommen ist ein zeitlich begrenztes Ehegatten-Notvertretungsrecht hinsichtlich der Gesundheitssorge in § 1358 BGB, welches der Tatsache Rechnung tragen soll, dass der Ehegatte diejenige Person ist, die im Zweifel am ehesten die am Willen orientierten Interessen des einwilligungsunfähigen Ehegatten wahrnehmen kann. Dieses anfänglich im ersten Gesetzesentwurf für drei Monate vorgesehene Notvertretungsrecht wurde letztlich auf sechs Monate ausgeweitet. Diesem Notvertretungsrecht standen im Gesetzgebungsverfahren auch Bedenken gegenüber dahingehend, dass es das individuelle Selbstbestimmungsrecht der Ehepartner schwäche und erhebliche Missbrauchsrisiken berge.
II. Recht auf Selbstbestimmung und weitere Motive zu deren Errichtung
Rz. 3
In der Beratungspraxis zeigt sich, dass das Hauptmotiv für die Errichtung einer Patientenverfügung grundsätzlich die Angst vor jahrelangem Siechtum, geistigem Zerfall, Schmerzen, Abhängigkeit aufgrund umfangreicher Pflegebedürftigkeit und damit der Wunsch nach einem natürlichen, selbstbestimmten Sterben ist. Diese Angst erscheint berechtigt, wenn man sich die veröffentlichten Zahlen hierzu vergegenwärtigt: 2021 starben in Deutschland insgesamt 1.023.687 Menschen, 447.473 davon in Krankenhäusern. 2020 starben des Weiteren ca. 900 Menschen täglich in Pflegeheimen, in den Jahren 2021 und 2022 aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie mutmaßlich noch mehr. Schenkt man Aussagen von in der Pflege Beschäftigten Glauben, ist ein würdevolles Sterben in den entsprechenden Einrichtungen oft nicht möglich. Hier verbleibt als einziges Mittel der Selbstbestimmung die Errichtung einer Patientenverfügung, die gewährleisten kann, dass Behandlungswünsche des Betroffenen auch im Zustand der eingetretenen Einwilligungsunfähigkeit auf ärztliche Maßnahmen Einfluss nehmen. Daneben wird mit der Errichtung einer Patientenverfügung auch die Verantwortung für schwierige Entscheidungen über den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen von der betroffenen Person selbst übernommen. Angehörige, Bevollmächtigte oder Betreuer sowie Ärzte und Pflegepersonal können bei Vorliegen einer wirksamen Patientenverfügung im Ernstfall erheblich entlastet werden.
Rz. 4
Die Zahl der in Deutschland verfassten Patientenverfügungen war bis Ende 2022 nicht bekannt. Lediglich im Rahmen der Registrierung von Vorsorgevollmachten beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer war es bis Ende 2022 möglich, die zusätzliche Information zu hinterlegen, ob neben der Vollmacht auch eine Patientenverfügung vorhanden ist. Es wird davon ausgegangen, dass bei einer Gesamtzahl der 2020 rund 4,7 Millionen eingetragenen Vorsorgevollmachten etwa 3,5 Millionen Patientenverfügungen mitregistriert wurden. Man kann somit davon ausgehen, dass heute ein Großteil der Bevölkerung keine Patientenverfügung errichtet hat.
B. Errichtung einer Patientenverfügung
I. Allgemeines
Rz. 5
Die Voraussetzungen von Patientenverfügungen und ihre Bindungswirkung werden vom Gesetz und der fortgeschrittenen Rechtsprechung bestimmt. Eine Verpflichtung zur Abfassung einer Patientenverfügung besteht jedoch nicht (vgl. § 1827 Abs. 5 S. 1 BGB) und die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf auch nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses z.B. mit einer Pflegeeinrichtung gemacht werden (vgl.§ 1827 Abs. 5 S. 2 BGB). Auch gelten die gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung (§ 1827 Abs. 3 BGB).
II. Voraussetzungen für eine Patientenverfügung
Rz. 6
Die Legaldefinition der Patientenverfügung ergibt sich aus § 1827 Abs. 1 BGB. Um eine Patientenverfügung handelt es sich hiernach, wenn ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festlegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffe einwilligt oder sie untersagt.
1. Einwilligungsfähigkeit
Rz. 7
Nach § 1827 Abs. 1 BGB ist die Einwilligungsfähigkeit, das heißt die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Verfügenden, zum Zeitpunkt der Errichtung zwingend. Auf die Testierfäh...