Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 1517
Eine durch Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Arbeitnehmer seine geschuldeten Vertragspflichten noch teilweise erbringen kann, da das Gesetz eine "Teilarbeitsunfähigkeit" grds. nicht kennt (LAG Köln v. 29.6.2007, PersV 2008, 272).
a) Auswirkung der Teilarbeitsfähigkeit auf die vertragliche Leistungspflicht
Rz. 1518
Auch wenn das Direktionsrecht des Arbeitgebers i.d.R. sehr weit ist, orientiert sich die Arbeitsunfähigkeit und damit die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an der geschuldeten Tätigkeit. In Ausübung des Direktionsrechtes kann daher der Arbeitgeber einen arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer nicht zu einer seiner Meinung nach zumutbaren Arbeit heranziehen. So ist etwa der Arbeitgeber nicht berechtigt, einem Mitarbeiter, der sich den Arm gebrochen hat, während der dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit einen anderen Arbeitsplatz zuzuweisen, den er "einarmig" ausführen kann (LAG Hamm v. 20.7.1988, DB 1989, 1293 = NZA 1989, 600).
Rz. 1519
Das LAG München entschied jedoch, dass grds. der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechtes dem Arbeitnehmer eine Arbeit zuweisen kann, die seiner beschränkten Arbeitsfähigkeit entspricht (LAG München v. 31.7.1986, LAGE § 1 LohnFG Nr. 16 [LT 1–2]). Allerdings gerät der Arbeitgeber nicht in allen Fällen in Annahmeverzug, wenn er von seinem Direktionsrecht keinen Gebrauch macht. Eine Teilleistung kommt als geschuldete Leistung nur in Betracht, wenn sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ergeben sollte, dass es ihm ohne Weiteres möglich ist, dem Arbeitnehmer eine leichtere Arbeit zuzuweisen (ArbG Stuttgart v. 10.4.1996, NZA-RR 1996, 362).
Rz. 1520
Der 2. Senat des BAG sieht einen – ggf. ohne vorherige Abmahnung zur Kündigung berechtigenden – möglichen Vertragsverstoß eines Mitarbeiters auch darin, dass er seine "Restarbeitsfähigkeit" in seinem "Hauptarbeitsverhältnis" nicht richtig eingesetzt habe (BAG v. 26.8.1993, DB 1993, 2534). Die Arbeitsunfähigkeit orientiert sich an geschuldeter Tätigkeit (BAG v. 25.10.1973, BB 1974, 230 = DB 1974, 342; BAG v. 29.1.1992, EzA Nr. 1 zu § 74 SGB V). Weder im Arbeitsrecht noch im Sozialrecht findet sich eine gesetzliche Stütze für die Anerkennung einer Teilarbeitsunfähigkeit. Daher kann der Arbeitgeber in Ausübung seines Direktionsrechtes einem arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer grds. keine andere Arbeit zuweisen.
Rz. 1521
Hingegen muss der Arbeitnehmer nach dem Prinzip der Beweisnähe Tatsachen darlegen, die den Schluss zulassen, es liege zwar eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit vor, aber keine krankheits- oder unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit. Ggf. mag er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, aus der sich seine Teilarbeitsfähigkeit ergibt, oder die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden (BAG v. 7.12.2005, NZA 2006, 880 = DB 2006, 1165).
b) Vertragliche Vereinbarungen
Rz. 1522
Oftmals finden sich in Arbeitsverträgen Klauseln folgender Konstellation:
"Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, bei krankheitsbedingter Unfähigkeit zur bisherigen Arbeit eine andere, ihm medizinisch und arbeitsvertraglich zumutbare Tätigkeit auszuführen. Eine Entgeltminderung tritt dadurch nicht ein. Dies gilt entsprechend bei teilweiser Unfähigkeit zur bisherigen Arbeit."
Rz. 1523
Da weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber von der gesetzlichen Regelung her verpflichtet sind, entsprechende Tätigkeiten anzubieten bzw. zu verrichten, dürften aus der vorgenannten vertraglichen Vereinbarung wegen Verstoßes gegen zwingendes Entgeltfortzahlungsrecht (§ 12 i.V.m. § 3 EFZG) keine Rechte und Pflichten abgeleitet werden können.
c) Auswirkung der Teilarbeitsfähigkeit auf die Höhe der Entlohnung
Rz. 1524
Eine Teilarbeitsfähigkeit mit teilweiser Entlohnung findet im Sozialversicherungsrecht keine Stütze. Nach § 74 SGB V soll zwar der Arzt auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben, wenn arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und durch eine stufenweise Wiederaufnahme voraussichtlich wieder besser in das Erwerbsleben eingegliedert werden können. Der Versicherte bleibt aber während der Zeit der Wiedereingliederung nach § 74 SGB V arbeitsunfähig im Rechtssinne und verliert deshalb nicht seine an die Arbeitsunfähigkeit geknüpften Rechte (LAG Berlin v. 27.6.1990, BB 1990, 1981 = ZAP, EN-Nr. 93/91 = DB 1992, 552).
Rz. 1525
Aus der sozialrechtlichen Einführung des Begriffes der teilweisen Arbeitsunfähigkeit folgt nicht die Anerkennung einer arbeitsrechtlichen Teilarbeitsunfähigkeit. Vielmehr ist nach der Auffassung des BAG (v. 29.1.1992, EzA Nr. 1 zu § 74 SGB V) davon auszugehen, dass das Recht der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall den Begriff der teilweisen Arbeitsunfähigkeit nicht kennt. Demzufolge kann auch der Arbeitgeber nicht verpflichtet werden, eine Tätigkeit des Arbeitnehmers im Wiedereingliederungsverfahren als teilweise Arbeitsleistung entgegenzunehmen. Das Wiedereingliederungsverhältnis ist ein Rechtsverhältnis eigener Art. Gegenstand dieser geschuldeten Tätigkeit ist somit nicht die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung, sondern ein aliud....