Rz. 1818

Die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung ist i.d.R. eine Bringschuld, die am Leistungsort, dem Betrieb des Arbeitgebers, angeboten werden muss. Wird die Arbeit infolge eines objektiven Leistungshindernisses nicht oder verspätet vom Arbeitnehmer aufgenommen, tritt Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB ein. Nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB verliert der Arbeitnehmer seinen Lohnanspruch. Der Arbeitgeber ist berechtigt, das Arbeitsentgelt entsprechend zu kürzen.

 

Rz. 1819

Dieses sog. Wegerisiko trägt grds. der Arbeitnehmer (BAG v. 8.12.1982, DB 1983, 395; BAG v. 8.9.1982, DB 1983, 397; BAG v. 18.5.1999, NZA 1999, 1166; BAG v. 25.5.2000, NZA 2000, 1052; BAG v. 14.12.2000, NZA 2001, 550). Kennzeichnend für das objektive Leistungshindernis ist, dass dieses zufallsbedingt ist und im Voraus nicht einkalkulierbar ist. Kein objektives Leistungshindernis liegt vor, wenn der Arbeitsausfall auf persönlichen Gründen i.S.d. § 616 Abs. 1 BGB beruht.

 

Rz. 1820

Zu den wichtigsten Fällen eines objektiven Leistungshindernisses zählen die Fälle der Verkehrsstörung, die der fristgemäßen Arbeitsaufnahme am Arbeitsplatz entgegenstehen. Weitere Fälle sind z.B.:

Ausfall der öffentlichen Verkehrsmittel (auch wegen Corona-Virus);
Witterungsverhältnisse, wie Eisglätte, Schneefall, Schneeverwehungen und Überschwemmungen, Hochwasser (vgl. Bauer/Opolony, NJW 2002, 3503);
Sperrung oder Unpassierbarkeit der Verkehrswege durch Verkehrsunfall, Demonstration usw., Streik im ÖPNV;
öffentliche Fahrverbote oder Geschwindigkeitsbegrenzungen, wie sie z.B. bei Smoglagen verfügt werden (vgl. Berger-Delhey, ZTR 1999, 307; Dossow, BB 1988, 2455; Richardi, NJW 1987, 1231; Ehmann, NJW 1987, 401).
 

Rz. 1821

Jeder Arbeitnehmer trägt das Risiko der Realisierung des seine private Sphäre betreffenden Wegerisikos. Die Arbeitnehmerin, bei der sich das Wegerisiko aufgrund einer bestehenden Schwangerschaft realisiert, werde insoweit nicht anders behandelt als ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin, bei denen sich das Wegerisiko aus anderen Gründen verwirklicht. Die Belastung mit dem Wegerisiko stellt weder eine Ungleichbehandlung einer Schwangeren noch eine mittelbare Frauendiskriminierung dar (LAG Frankfurt am Main v. 22.8.2008 – 17 Sa 1855/07).

 

Rz. 1822

Der Arbeitnehmer ist nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet, den Arbeitsplatz rechtzeitig zu erreichen. Bei der Fahrt zur Arbeit muss der Arbeitnehmer morgendliche Verkehrsstaus bei der Berechnung seiner Fahrzeit einkalkulieren. Die verspätete Arbeitsaufnahme kann zu weiter gehenden Schritten des Arbeitgebers, z.B. Abmahnungen und Kündigungen, führen. Es handelt sich um eine Pflichtwidrigkeit im Leistungsbereich (BAG v. 15.11.2001, DB 2002, 689).

 

Rz. 1823

Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Nachholung der ausgefallenen Arbeitszeit zuzulassen. Der Arbeitnehmer ist grds. auch nicht zur Nacharbeit verpflichtet (sog. Fixschuldcharakter) soweit sich aus dem Arbeitsvertrag, einer tariflichen Bestimmung oder aus Treu und Glauben nichts anderes ergibt.

 

Rz. 1824

Bei gleitender Arbeitszeit tritt durch die Dispositionsmöglichkeit über den Umfang der täglichen Arbeitszeit bei Nichtantritt der Arbeit innerhalb der Eingangsphase nicht zwangsläufig Unmöglichkeit ein, weil außerhalb der Pflichtarbeitszeit die Arbeitszeit, nichts fix ist.

[Autor] Pestke

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge