Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 276
Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf i.d.R. 8 Stunden nicht überschreiten (§ 3 S. 1 ArbZG). Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden (§ 3 S. 2 ArbZG). Aufgrund dieser zu starren Gesetzesregelung haben die Tarifvertragsparteien vielfach von der ihnen gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und in Abweichung von § 3 S. 2 ArbZG entweder im Tarifvertrag selbst einen anderen Ausgleichszeitraum bestimmt oder zugelassen, dass ein solcher in einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden darf. I.R.d. Flexibilisierung der Arbeitszeit werden dabei Arbeitszeitguthaben als Kurz-, Mittel-, Langzeit- oder gelegentlich auch als Lebensarbeitszeitkonten angelegt.
Rz. 277
Das "Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen" ("Flexi-Gesetz und Flexi-II-Gesetz") hat die Möglichkeit eröffnet, geleistete Arbeitszeit in einem besonderen Wertguthaben anzusammeln, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zur kurz-, mittel- oder sogar längerfristigen Freistellung von der Arbeit einzusetzen und auch erst zum Zeitpunkt der Auszahlung für die Sozialversicherung zu verbeitragen.
Rz. 278
Sofern nicht kollektivvertragliche Regelungen dies zwingend vorschreiben, bedarf die Führung eines Arbeitszeitkontos einer ausdrücklichen Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, denn dadurch wird zumeist eine abweichende Regelung der Leistungsfrist i.S.v. § 308 Nr. 1 BGB getroffen. Allein das Leisten von Überstunden, die nicht laufend vergütet werden, begründet noch nicht die Annahme, die Arbeitsvertragsparteien hätten sich über die Führung eines Arbeitszeitkontos geeinigt, denn i.d.R. ist bei Fehlen kollektiv- oder individualvertraglicher Regelungen von der Vergütungspflicht gem. § 612 BGB und nicht dem Ausgleich durch Freizeit auszugehen (BAG v. 10.11.2010 – 5 AZR 766/09, NJW 2011, 1163; BAG v. 8.12.2010 – 5 AZR 667/09, NZA 2011, 927).
Rz. 279
Wird ein Arbeitnehmer für die Dauer der Kündigungsfrist unter Anrechnung der noch bestehenden Urlaubsansprüche freigestellt, erfüllt der Arbeitgeber damit nicht zugleich seine Pflicht zum Abbau des Arbeitszeitkontos i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen, die eine Freistellung haben kann, muss der Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennen können, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos von der Arbeitspflicht freistellen will. Dafür ist die bloße Freistellung nicht ausreichend (BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NJW 2020, 1093).
Rz. 280
Ist auf dem Zeitkonto eines freigestellten Betriebsratsmitglieds, das an einem Gleitzeitsystem teilnimmt, am Ende eines Ausgleichszeitraums ein Stundenguthaben aufgelaufen, ist die vertraglich geschuldete Arbeitszeit im Bezugszeitraum überschritten. Dann ist die Betriebsratstätigkeit insoweit als "außerhalb der Arbeitszeit" i.S.v. § 37 Abs. 3 BetrVG erbracht anzusehen (BAG v. 28.9.2016 – 7 AZR 248/14, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 165).
Rz. 281
Im Zuge der Arbeitszeitflexibilisierung werden unter dem Begriff "Arbeitszeitkonto" die verschiedensten Arbeitszeitmodelle diskutiert, wobei sich folgende zwei Grundtypen unterscheiden lassen (ErfK/Roloff, 2023, ArbZG, § 3 Rn 15 ff.):
Bei den Jahresarbeitszeitmodellen (= Kurzzeitkonto = Jahresarbeitszeitkonto) wird hinsichtlich des vertraglich vereinbarten Arbeitszeitvolumens der herkömmliche Wochenbezug durch einen Jahresbezug mit der Zielsetzung ersetzt, die Arbeitszeit entsprechend dem Arbeitsanfall flexibel auf einen Jahreszeitraum zu verteilen (ErfK/Roloff, 2023, ArbZG, § 3 Rn 18).
Bei Ansparkonten (= Wertguthabenvereinbarung = Langzeit- bzw. Lebensarbeitszeitkonto) geht es um das Ansparen von über die Regelarbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden (Zeitguthaben = Wertguthaben) durch den Arbeitnehmer mit dem Ziel eines zeitweiligen Ausstiegs aus dem Berufsleben (Sabbatical/Langzeiturlaub/Weiterbildung) oder dem vorzeitigen Voll- oder Teilruhestand bei verstetigtem Einkommen (ErfK/Wank, 2021, ArbZG, § 3 Rn 21).
a) Jahresarbeitszeitkonto
Rz. 282
Neben den herkömmlichen Gleitzeitregelungen sind häufig Betriebsvereinbarungen anzutreffen, nach denen die Arbeitnehmer auf ihrem Arbeitszeitkonto jeweils ein Wertguthaben ansparen dürfen, welches i.d.R. bis zum Jahresende vorrangig durch Freizeit auszugleichen und ansonsten abzugelten ist. Wenn der Arbeitnehmer bei einem solchen Jahresarbeitszeitkonto weniger oder mehr als die tariflich oder vertraglich vorgesehene Wochenarbeitszeit leistet, gleichwohl aber auf deren Basis vergütet wird, tritt der auf dem Arbeitszeitkonto geführte Saldo aus Plus- und Minusbuchungen an die Stelle des geschuldeten Geldwerts.
Rz. 283
Bei einem negativen Zeitguthaben des Arbeitnehmers handelt es sich der Sache nach um einen Lohn- oder Gehaltsvorschuss des Arbeitgebers. Hiervon ist auszugehen, wenn sich beide Seiten bei der Auszahlung darüber einig s...