Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
a) Einführung
Rz. 413
Zum 1.7.2001 ist das SchwbG durch das IX. Buch des Sozialgesetzbuchs – SGB IX – (BGBl I, 1046) abgelöst worden. Das SGB IX soll die Unübersichtlichkeit des bestehenden Rehabilitationsrechtes beenden. Dazu fasst das SGB IX nicht nur die Rechtsvorschriften zusammen, sondern regelt auch deren einheitliche Geltung für mehrere Rehabilitationsträger. Die Rechtsänderungen der letzten Jahre sind geprägt durch den Willen, Hindernisse für schwerbehinderte Menschen abzubauen und Diskriminierungen zu verhindern. Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGBl I 2002, 1467), das am 1.5.2002 in Kraft getreten ist, hat die Schaffung einer umfassenden Barrierefreiheit zum Ziel. Mit dem Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung v. 23.4.2004 wurden insb. die Rechte der Schwerbehindertenvertretung erweitert. Art. 5 des Gesetzes vom 20.7.2006 weist den Rehabilitationsträgern die subsidiäre Zuständigkeit für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu. Schließlich ändert das AGG v. 17.8.2006 das SGB IX mit dem Ziel, Menschen mit Behinderung gegen Diskriminierungen zu schützen. Die letzte Änderung vom 17.7.2017 (BGBl I, 2541) hat unter Einbezug der Schwerbehindertenvertretung vor allem eine neue Gesetzessystematik zur Folge
aa) Neuer Behindertenbegriff
Rz. 414
Ein Kernelement des neuen Rechtes ist die Neufassung des Behindertenbegriffes: Ab dem 1.1.2018 definiert § 2 SGB IX den Begriff Menschen mit Behinderung neu. Menschen mit Behinderung sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.
Weiterhin bestimmt § 2 Abs. 2 SGB IX, dass Menschen schwerbehindert sind, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz i.S.d. § 73 SGB IX rechtmäßig in Deutschland haben. Im § 2 Abs. 3 SGB IX findet sich dann die Definition des einem schwerbehinderten Menschen Gleichgestellten.
Das durch Beschluss 2010/48/EG des Rates der EU v. 26.11.2009 genehmigte UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bezweckt, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Um die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen sicher zu stellen, verpflichtet die allgemeine Gleichbehandlungs-Richtlinie 2000/78/EG insbesondere den Arbeitgeber, die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Menschen Zugang zur Beschäftigung, Ausübung eines Berufs, beruflichen Aufstieg und Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen.
Der Begriff "Behinderung" erfasst unter Heranziehung des UN-Übereinkommens eine insbesondere auf langfristige physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurück zu führende Einschränkung, die den Betroffenen in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den übrigen Arbeitnehmern hindern kann. Die Mitgliedstaaten der EU müssen die Arbeitgeber verpflichten, unter Berücksichtigung jedes Einzelfalls wirksame und praktikable Maßnahmen zu ergreifen. Dies gilt für die Gestaltung der Räumlichkeiten, Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus oder der Aufgabenverteilung. Diese Verpflichtung trifft alle Arbeitgeber (EuGH v. 4.7.2013 – C 312/11 Kommission/Italien).
Rz. 415
Damit hat das SGB IX ggü. dem SchwbG einen weitergezogenen Geltungsbereich. Die Regelungen des SGB IX sind nicht nur für schwerbehinderte Menschen von Bedeutung. § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX führt als unterstützungsbedürftige Gruppe, die "von Behinderung Bedrohten" ein. Auch die von der Behinderung bedrohten Menschen sollen Leistungen nach diesem SGB IX und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetze erhalten, um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken (§ 1 SGB IX).
bb) Gleichbehandlung von Männern und Frauen
Rz. 416
Ein wichtiges Anliegen der Neuregelung ist die Berücksichtigung von besonders benachteiligten behinderten Gruppen. Nach § 1 S. 2 SGB IX soll von allen an der Integrationsaufgabe Mitwirkenden den besonderen Bedürfnissen Behinderter und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder Rechnung getragen werden. Hintergrund ist die Chancenungleichheit von behinderten Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Die für die Ausführung des Gesetzes zuständigen Behörden werden daher in § 33 Abs. 2 SGB IX verpflichtet, behinderten Frauen insb. durch in der beruflichen Zielsetzung geeignete, wohnortnahe und auch in Teilzeit nutzbare Angebote gleiche Chancen im Erwerbsleben zu sichern. Für das Ziel der Gleichstellung im Arbeitsleben ...