Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 451
Unter Betrieblicher Übung versteht man die regelmäßige (mindestens dreimalige) und gleichförmige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen eines Arbeitgebers über einen bestimmten Zeitraum hinweg, aus der die Arbeitnehmer entnehmen können, dass ihnen die entsprechenden Leistungen auch künftig, und zwar auf Dauer, gewährt werden sollen (so die ganz h.M. der Lit., vgl. Küttner/Kreitner, Personalbuch, "Betriebliche Übung", Rn 1; st. Rspr. des BAG, z.B. 7 AZR 262/83; 5 AZR 41/93). Diese Übung entsteht nur, wenn eine vorbehaltlose und gleichartige Praktizierung eines bestimmten Verhaltens des Arbeitgebers gegeben ist (Bauer/von Medem, ArbRAktuell 2011, 3). An der Vorbehaltlosigkeit mangelt es, wenn der Arbeitgeber explizit darauf hinweist, dass die in Rede stehende Regelung freiwillig allein für den konkreten Anlass Anwendung findet und zudem klarstellt, dass den Arbeitnehmern auch im Fall der wiederholten Gewährung der betreffenden Leistung kein Anspruch auf deren zukünftige Gewährung zusteht (sog. Freiwilligkeitsvorbehalt). Durch die Entstehung der betrieblichen Übung wird ein ausdrücklicher Anspruch des Arbeitnehmers aus einem rein tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers abgeleitet, ohne dass dieser eine konkrete Erklärung abgegeben haben muss. Eine Begünstigung der Arbeitnehmer ist dabei nicht zwingend notwendig, auch nachteilige Verhaltensweisen können verbindlich werden (vgl. BAG v. 20.5.1976 – 2 AZR 202/75). Schließlich ist die betriebliche Übung durch ein kollektives Element gekennzeichnet. Es ist daher erforderlich, dass sie sich auf eine Vielzahl, zumindest aber auf eine abgrenzbare Gruppe, von Arbeitnehmern bezieht (BAG v. 21. 4. 2010 – 10 AZR 163/09). Durch eine Leistung an einzelne Arbeitnehmer kann die Entstehung einer betrieblichen Übung nicht ausgelöst werden (Bauer/von Medem, ArbRAktuell 2011, 3).
Rz. 452
Die betriebliche Übung kann Grundlage für Vertragsbeziehungen, -ergänzungen oder -auslegungen sein. Sie ist im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ausdrücklich gesetzlich anerkannt (vgl. § 1b Abs. 1 S. 4 BetrAVG).
Rz. 453
Das rein tatsächliche Verhalten des Arbeitgebers wird als konkludente Willenserklärung interpretiert, die von dem Arbeitnehmer ebenfalls durch konkludentes Verhalten angenommen wird. Der Inhalt der betrieblichen Übung wird zum schuldrechtlichen Verpflichtungstatbestand und dadurch Bestandteil des Arbeitsvertrages, ohne dass es der Abgabe einer ausdrücklichen Willenserklärung oder deren Empfanges bedarf. Es ist deshalb unbeachtlich, ob sich der Arbeitgeber über die Folgen seines Tuns im Klaren war, ein entsprechender Verpflichtungswille ist nicht erforderlich. Die subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers sind irrelevant (BAG v. 19.2.2008 – 3 AZR 61/06). Entscheidend ist ausschließlich der Empfängerhorizont. Maßgeblich ist, wie das Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstanden werden durfte. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Arbeitnehmer in jedem Fall darauf vertrauen kann, dass ein- oder mehrmals gewährte Leistungen auch zukünftig und auf Dauer an ihn geleistet werden. Dem können einmal die Begleitumstände entgegenstehen, wie z.B. bei der Überreichung lediglich geringwertiger Geschenke zu Weihnachten oder Ostern. Ebenso schließt im Regelfall der ausdrückliche Hinweis auf die Freiwilligkeit der Leistung unter Ablehnung eines Rechtsanspruches für die Zukunft das Entstehen einer betrieblichen Übung aus (BAG v. 26.6.1975 – 5 AZR 412/74). Ähnliches gilt für die üblichen Zusätze zum Hinweis auf die Einmaligkeit oder Widerruflichkeit der Leistung. Darüber hinaus scheidet eine betriebliche Übung aus, wenn der Gegenstand bereits ausdrücklich durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung geregelt ist. Dies hat für den Arbeitgeber zwei Vorteile. Zum einen kann die Betriebsvereinbarung gem. § 77 Abs. 5 BetrVG gekündigt werden. Zum anderen besteht keine Nachwirkung gem. § 77 Abs. 6 BetrVG mit der Folge, dass nach dem Ende der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung kein Anspruch mehr auf die Vergünstigung gegeben ist (Bauer/Von Medem, ArbRAktuell 2011, 3).
Im Hinblick auf die Verhinderung der Entstehung einer betrieblichen Übung ist insb. bei der Formulierung von AGB Vorsicht geboten. Hierbei hat der Arbeitgeber zur Vermeidung einer betrieblichen Übung die Möglichkeit des Freiwilligkeitsvorbehalts und/oder des Widerrufsvorbehalts sowie von Schriftformklauseln. Am häufigsten wird der Freiwilligkeitsvorbehalt verwendet. In der Vertragsgestaltung wurden über Jahrzehnte hinweg Klauseln wie "Der Arbeitnehmer erhält eine Gratifikation i.H.e. 13. Monatsgehalts. Die Zahlung erfolgt freiwillig. Auch nach wiederholter Zahlung erwächst hierauf kein Anspruch" verwendet (Jensen, NZA-RR 2011, 225). Das BAG hat diesbezüglich jedoch einen Wechsel in der Rechtsprechung vollzogen und sieht in derartigen Klauseln nunmehr einen Verstoß gegen das aus § 307 BGB resultierende Transparenzgebot (BAG v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06). Nach Ansicht des BAG ist das Wort "er...