Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
a) Inhalt
Rz. 530
Das allgemeine Direktionsrecht des Arbeitgebers, auch Weisungsrecht genannt, ist seit dem 1.1.2003 in § 106 GewO gesetzlich definiert. Demzufolge ist der Arbeitgeber gem. § 106 S. 1 GewO befugt, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher zu bestimmen, soweit diese Bedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Gem. § 106 S. 2 GewO erstreckt sich das Direktionsrecht auch auf die Ordnung und das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb. Hierzu gehört bspw. die Erteilung von Rauchverboten, die Durchführung von Eingangskontrollen oder die Weisung, Schutzkleidung zu tragen. Während der Corona-Pandemie ist die Anordnung einer Maskenpflicht (auch ohne § 3 Abs. 2 Nr. CoronaSchVO) durch das Direktionsrecht gedeckt (LAG Köln v. 12.4.2021 – 2 SaGa 1/21, juris). Dagegen sind Eingriffe in die private Lebensführung des Arbeitnehmers nicht vom Weisungsrecht nach § 106 GewO umfasst (BAG v. 23.8.2012 – 8 AZR 804/11, juris – der Arbeitgeber hat gegenüber dem Arbeitnehmer angeordnet, dass dieser seine Steuererklärung durch eine bestimmte Steuerberatungsgesellschaft erstellen lassen solle).
Rz. 531
Je allgemeiner der Inhalt der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag umschrieben ist, desto größer ist der Raum für arbeitgeberseitige Weisungen. Bei einer nur rahmenmäßig umschriebenen Leistungspflicht (z.B. Einstellung als "Hilfsarbeiter") kann der Arbeitgeber "nach billigem Ermessen" bestimmen, welche konkreten Arbeitsaufgaben seine Beschäftigten übernehmen sollen und der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer im vorgegebenen Rahmen Arbeiten zuweisen (vgl. BAG v. 27.3.1980 – 2 AZR 506/78, DB 1980, 1603 = BB 1980, 1267). Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen (BAG v. 24.10.2018 – 10 AZR 19/18, juris Rn 26). Bei der Überprüfung, ob die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen erfolgt ist, berücksichtigt die Rechtsprechung die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 537/12, juris; BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 311/11, juris; BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, DB 2010, 2805 = NZA 2011, 64; BAG v. 21.7.2009 – 9 AZR 404/08, DB 2010, 61). Im Laufe der Beschäftigung können wechselnde Marktbedingungen, neue Produktionstechniken oder andere Organisationsformen eine Änderung der Tätigkeit erforderlich machen. Auch in diesen Fällen kann der Arbeitgeber kraft seines Direktionsrechtes die Arbeitspflicht im vorgegebenen Rahmen durch Weisung konkretisieren und anpassen. Das Direktionsrecht dient allerdings nur der Konkretisierung des vertraglich vereinbarten Tätigkeitsinhalts, beinhaltet aber nicht das Recht zu einer Änderung des Vertragsinhalts (BAG v. 16.10.2013 – 10 AZR 9/13, juris; BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09, juris) In einem solchen Fall bedarf es einer Änderungskündigung (BAG v. 17.12.2015 – 2 AZR 304/14, juris). So berechtigt das Direktionsrecht nicht, dem Arbeitnehmer eine geringwertigere Tätigkeit als vertraglich vereinbart zu übertragen. Aus diesem Grund ist es unzulässig, eine Führungskraft auf eine Sachbearbeiterstelle zu versetzen (LAG Baden-Württemberg v. 20.4.2009 – 4 Sa 4/09, BB 2009, 1069 = ArbRB 2009, 196). Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer auch dann keine niedriger zu bewertende Tätigkeit zuweisen, wenn er die höhere Vergütung fortzahlt, die der bisherigen Tätigkeit entspricht (BAG v. 30.8.1995 – 1 AZR 47/95, NZA 1996, 440; LAG Baden-Württemberg v. 20.4.2009 – 4 Sa 4/09, BB 2009, 1069 = ArbRB 2009, 196). Die Zuweisung eines den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen nicht genügenden Arbeitsplatzes kann gleichwohl billigem Ermessen entsprechen, sofern es sich nur um geringfügige oder kurzzeitige Verstöße handelt (BAG v. 28.6.2018 – 2 AZR 436/17).
Rz. 532
Je detaillierter eine Tätigkeitsbeschreibung im Arbeitsvertrag ausfällt, desto geringer ist der Spielraum des Arbeitgebers, sein Direktionsrecht auszuüben (BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 25/11, juris). So können einem Arbeitnehmer nicht arbeitsvertraglich eingeräumte Befugnisse mit Berufung auf das Direktionsrecht einseitig entzogen werden (BAG v. 2.4.1996 – 1 AZR 743/95, NZA 1997, 112 = DB 1996, 1880). Das Direktionsrecht kann bei einer detaillierteren Tätigkeitsbeschreibung wieder erweitert werden, wenn der Arbeitsvertrag eine Versetzungsklausel enthält, wonach der Arbeitgeber berechtigt ist, dem Arbeitnehmer andere zumutbare Aufgaben zu übertragen. Ein entsprechender Passus im Arbeitsvertrag stellt jedoch eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar, sofern nicht gewährleistet ist, dass die Zuweisung eine min...