Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
a) Definition des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes
Rz. 849
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einzelne Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage nicht aus sachfremden Gründen schlechter zu stellen. Die Pflicht zur Gleichbehandlung ergibt sich aus dem vom BAG entwickelten arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. hierzu ausführlich Buchner, RdA 1970, 226). Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist ein richterrechtliches Grundprinzip des deutschen Arbeitsrechtes (vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 711 m.w.N.). Er muss im Ergebnis einer arbeitsrechtlichen Norm gleichgestellt werden. Dies hat zur Folge, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz auch als "Bestimmung des nationalen Rechts" i.S.d. Rspr. des EuGH (v. 22.11.2005, AP RL 2000/78/EG Nr. 1 = EzA TzBfG § 14 Nr. 21) anzusehen ist. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist insb. dann verletzt, wenn der Arbeitgeber gegen eine die sachfremde Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern ausdrücklich verbietende Norm, wie § 4 TzBfG, verstößt. Dies gilt auch für den Fall, dass der Arbeitgeber gegen eine die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern bezweckende RL der EG verstößt (BAG v. 11.4.2006, NJW 2006, 2875).
Rz. 850
Nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist es erforderlich, dass der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer ggü. anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage nicht sachfremd schlechterstellt. Bildet der Arbeitgeber Gruppen von begünstigten und benachteiligten Arbeitnehmern, muss diese Gruppenbildung sachlichen Kriterien entsprechen (BAG v. 22.11.1994, DB 1995, 930 = NZA 1995, 733). Die Auswahl muss im Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen (so sind bspw. Maßnahmen zu vermeiden, die nur auf dem Alter beruhen, und eher solche zu wählen, die auch auf andere relevante Kriterien abstellen). Ein Anspruch auf Informationen über die Qualifikation der Mitbewerber für einen Berufsausbildungskurs überwiegt nicht dem Grundsatz der Vertraulichkeit (EuGH v. 21.7.2011 C 194/10 "Kelly"). Allerdings kann sich aus der fehlenden Begründung der Ablehnung ein Indiz für eine Diskriminierung des Bewerbers ergeben; das dazu führt, dass der beklagte Arbeitgeber eine behauptete Diskriminierung widerlegen muss (vgl. EuGH v. 19.4.2012 C-415/10 "Meister").
Rz. 851
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer ggü. anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage als auch die sachfremde Differenzierung zwischen Arbeitnehmern in einer bestimmten Ordnung. Sachfremd ist eine Differenzierung, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt (BAG v. 28.6.1992, BB 1993, 224 = DB 1993, 189). Liegt ein sachlicher Grund nicht vor, kann der übergangene Arbeitnehmer verlangen, nach Maßgabe der allgemeinen Regelung behandelt zu werden (BAG v. 15.11.1994, BB 1995, 409 = NZA 1995, 939).
Rz. 852
Verstößt der Arbeitgeber bei der Gewährung freiwilliger Leistungen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch auf die vorenthaltene Leistung (st. Rspr., vgl. BAG v. 14.8.2007, NZA 2008, 99; BAG v. 11.4.2006, NZA 2006, 1217). Es gilt eine sachgerecht abgestufte Darlegungs- und Beweislast (BAG v. 19.8.1992, NZA 1993, 171).
b) Geltungsbereich und Reichweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes
Rz. 853
Adressat der Pflicht zur Gleichbehandlung ist der Arbeitgeber. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gilt nicht nur betriebsbezogen, sondern kann innerhalb desselben Unternehmens auch betriebsübergreifend Geltung beanspruchen (vgl. BAG v. 17.11.1998, NZA 1999, 606). Die Begrenzung auf den Betrieb allein findet nur seine Stütze in § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG, wonach Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen haben, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insb., dass jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechtes unterbleibt. Dadurch wird aber nicht die individualrechtliche Pflicht des Arbeitgebers zur Gleichbehandlung auf den Betrieb beschränkt. Begründet wird dies mit einer nicht immer einfach vorzunehmenden Abgrenzung zwischen Betriebsteil und selbstständigen Betrieb (ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 724 m.w.N.). Unterschiedliche Betriebszugehörigkeiten können als Differenzierungsgrund Berücksichtigung finden, auch eine Differenzierung nach dem bisherigen Besitzstand (Weihnachtsgratifikation bei Betriebsübergang) ist nicht sachwidrig (BAG v. 31.8.2005, NZA 2006, 265). Zu beachten ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zum Schutz der Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und der Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG).
Rz. 854
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist immer dann anwendbar, wenn ein Arbeitgeber seine betriebliche Regelungs- und Ordnungsaufgabe eigenständig wahrnimmt. Dies kann auch dadurch geschehen, dass er mit einem Teil seiner Arbeitnehmer die...