Rz. 435

Fühlt sich ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber oder Arbeitnehmern des Betriebes benachteiligt, kann er sich ggü. den zuständigen Stellen des Betriebes nach § 84 Abs. 1 BetrVG beschweren. Es setzt, trotz seiner Regelung im BetrVG, das Bestehen eines Betriebsrates nicht voraus. Der Arbeitgeber hat die Beschwerde ggü. Benachteiligungen, ungerechter Behandlung und sonstigen Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers zu bescheiden und ihr, soweit sie berechtigt ist, abzuhelfen. Wird der Beschwerde nicht abgeholfen, kann der Arbeitnehmer bzgl. der Verfolgung von Rechtsansprüchen Klage erheben (Fitting, BetrVG, § 84 Rn 1), im Fall einer Verfolgung von Regelungsansprüchen kann bei Erfolglosigkeit der Beschwerde der Betriebsrat eingeschaltet werden (§§ 80, 85 Abs. 2, 86 BetrVG).

 

Rz. 436

Das spezielle Beschwerderecht nach § 3 BeschSG für den Fall sexueller Belästigung am Arbeitsplatz trat am 18.8.2006 durch Art. 4 GRLUmsG außer Kraft. Das AGG führte in § 13 AGG ein spezielles Beschwerdeverfahren für in § 1 AGG abschließend aufgeführter Diskriminierungsmerkmale ein (vgl. zu den Voraussetzungen unter § 19 Rdn 17 ff.). Zugunsten der Beschäftigten kann nun eine (zusätzliche) Anlaufstelle für Beschwerden geschaffen werden, zu deren Ausgestaltung mit einem gesonderten Beschwerdeverfahren es keiner zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bedarf (LAG Mainz v. 17.4.2008, AE 2008, 230; Westhauser/Sediq, NZA 2008, 78, 81 m.w.N.). Das Beschwerderecht der Beschäftigten ist somit fortan doppelspurig in § 13 AGG und § 84 BetrVG ausgestaltet (vgl. zu der Übertragbarkeit von Reichweite und Auslegung auf § 13 AGG: Oetker, NZA 2008, 264, m.w.N.).

 

Rz. 437

Eine Hemmung gesetzlicher Fristen erfolgt durch die Einlegung der Beschwerde nicht. Auch eine aufschiebende Wirkung tritt durch Einlegung der Beschwerde nicht ein. Bis zu der Entscheidung des Arbeitgebers muss der Arbeitnehmer daher, soweit kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 273 BGB besteht, einer Anordnung, die Gegenstand der Beschwerde ist, nachkommen.

 

Rz. 438

Beschwerdegegenstand kann jede Maßnahme sein, durch die der Arbeitnehmer eine Benachteiligung, ungerechte Behandlung oder sonstige Beeinträchtigung erfährt, sei sie rechtlicher oder tatsächlicher Art. Ein allgemeines Beschwerderecht unabhängig von der persönlichen Betroffenheit gegen Missstände ist im BetrVG nicht geregelt (vgl. zum sog. "Whistleblower" Deiseroth/Derleder, ZRP 2008, 248 ff.). Eine Popularbeschwerde ist nach herrschender Meinung nicht möglich (BAG v. 22.11.2005, NZA 2006, 803 ff.). Zulässig ist jedoch eine Bündelung mehrerer individueller Beschwerden, die gleichzeitig vorgetragen werden. Zudem garantiert Art. 11 Abs. VI der Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie 89/391/EWG das Beschwerderecht der Beschäftigten für den umfassenden Geltungsbereich des Arbeitsschutzes. Sind Beschäftigte der Auffassung, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, so können sich diese an die zuständige Behörde wenden, wenn der Arbeitgeber der darauf gerichteten Beschwerden nicht abhilft (§ 17 Abs. 2 ArbSchG).

 

Rz. 439

Fälle individueller Benachteiligung können u.a. dann vorliegen, wenn bei entsprechenden generellen Maßnahmen des Arbeitgebers ein Mitbestimmungsrecht bestehen würde (Fitting, BetrVG, § 84 Rn 5). Typische Beschwerdegegenstände betreffen den betrieblichen Umweltschutz (Schmitt-Schöneberg, ArbuR 1994, 281), Arbeits- und Gesundheitsschutz, Stalking (Reim, AiB 2006, 16 ff.), Mobbing, Leistungsbeurteilungen, Ungleichbehandlung entgegen den Grundsätzen des § 75 Abs. 1 BetrVG (Fitting, BetrVG, § 84 Rn 7), Nichtraucherschutz, falsche Gehaltsabrechnungen. Bei einer fehlerhaften oder benachteiligenden Schichtplaneinteilung fehlt es an einer arbeitgeberseitigen Benachteiligung, wenn die Zustimmung und Mitwirkung des Betriebsrates im Interesse sämtlicher Mitarbeiter erfolgte (LAG Köln v. 17.9.2007, LNR 2007, 46615).

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