Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 282
Neben den herkömmlichen Gleitzeitregelungen sind häufig Betriebsvereinbarungen anzutreffen, nach denen die Arbeitnehmer auf ihrem Arbeitszeitkonto jeweils ein Wertguthaben ansparen dürfen, welches i.d.R. bis zum Jahresende vorrangig durch Freizeit auszugleichen und ansonsten abzugelten ist. Wenn der Arbeitnehmer bei einem solchen Jahresarbeitszeitkonto weniger oder mehr als die tariflich oder vertraglich vorgesehene Wochenarbeitszeit leistet, gleichwohl aber auf deren Basis vergütet wird, tritt der auf dem Arbeitszeitkonto geführte Saldo aus Plus- und Minusbuchungen an die Stelle des geschuldeten Geldwerts.
Rz. 283
Bei einem negativen Zeitguthaben des Arbeitnehmers handelt es sich der Sache nach um einen Lohn- oder Gehaltsvorschuss des Arbeitgebers. Hiervon ist auszugehen, wenn sich beide Seiten bei der Auszahlung darüber einig sind, dass es sich um eine Vorwegleistung handelt, die bei Fälligkeit der Forderung verrechnet wird (BAG v. 19.4.2005 – 9 AZR 160/04). Der Saldo auf dem Jahresarbeitszeitkonto ist Ausdruck der am Jahresende, also bei Abschluss des Ausgleichszeitraumes, vom Arbeitgeber zu leistenden Mehrarbeitsvergütung bzw. der vom Arbeitnehmer zu erstattenden Lohnüberzahlung. Kann allein der Arbeitnehmer darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang das negative Guthaben entsteht, hat er es im Fall der Vertragsbeendigung bei nicht rechtzeitigem Zeitausgleich finanziell auszugleichen und der Arbeitgeber darf eine Verrechnung mit offenen Vergütungsansprüchen vornehmen (BAG v. 13.12.2000, BB 2001, 1585 = DB 2001, 1565). Konnte der Arbeitnehmer nicht hierüber entscheiden, gerät der Arbeitgeber mit Ablauf eines jeden Arbeitstages in einen den Vergütungsausschuss ausschließenden Annahmeverzug, wenn und soweit er die sich aus Arbeits- und Tarifvertrag ergebende Sollarbeitszeit nicht ausschöpft (BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18; BAG v. 26.1.2011 – 5 AZR 819/09). Der Einwand des Arbeitnehmers gegen diese zu Unrecht bestehende Belastung des Kontos mit Minusstunden unterliegt keinen Ausschlussfristen (BAG v. 26.1.2011 – 5 AZR 819/09). Darüber hinaus ist die in einem Kontoguthaben ausgewiesene Lohnforderung streitlos gestellt, wenn sie in einer Lohnabrechnung ausgewiesen wird und muss auch nicht mehr zur Wahrung einer Ausschlussfrist geltend gemacht werden. Dann besteht anschließend auch nicht die Notwendigkeit, Ansprüche aus dem Arbeitszeitkonto geltend zu machen, um die Ausschlussfrist zu wahren, wenn sich – bspw. – wegen der Schließung des Arbeitszeitkontos ein Freizeitausgleichs- in einen Zahlungsanspruch wandelt (BAG v. 28.7.2010 – 5 AZR 521/09). Besteht dagegen am Ende des Arbeitsverhältnisses auf dem Arbeitszeitkonto ein Guthaben des Arbeitnehmers, das vom Arbeitgeber nicht vergütet wird, kann der Arbeitnehmer Klage auf Ausgleichung seines Arbeitszeitkontos erheben. Für die Schlüssigkeit einer Klage, die auf Ausgleich des Arbeitszeitguthabens auf einem Arbeitszeitkonto gerichtet ist, genügt es, dass der Kläger die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos und das Guthaben zum vereinbarten Auszahlungszeitpunkt darlegt (BAG v. 13.3.2002, BAGReport 2002, 332 = DB 2002, 2383). In diesem Fall ist ein Antrag, die Stunden dem Arbeitszeitkonto "gutzuschreiben" bestimmt genug i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (BAG v. 10.11.2010 – 5 AZR 766/09). Der Arbeitnehmer kann dementsprechend Leistungsklage auf Zahlung des Geldwertes der als Saldo auf dem Konto gebuchten Arbeitsstunden erheben, ohne die einzelnen Arbeitsstunden darlegen zu müssen, die zu diesem Saldo geführt haben. Er kann auf diesem Wege die Korrektur der auf seinem Konto ausgewiesenen Salden beantragen, die in der Sache einem Vergütungsanspruch entsprechen (BAG v. 10.11.2010 – 5 AZR 766/09). Die Wertguthaben auf Arbeitszeitkonten werden vielfach angespart, um den Zeitausgleich zusammen mit dem Erholungsurlaub nehmen zu können, um diesen also zu verlängern.
Rz. 284
Ansprüche auf Ausgleich eines Arbeitszeitkontos (§§ 611, 612 BGB i.V.m. §§ 3, 7 Abs. 1 Nr. 1b ArbZG) sind zwar insolvenzgeldgesichert gem. § 183 Abs. 1 S. 4 SGB III, sie sind jedoch nicht insolvenzschutzgesichert.
Rz. 285
Vorkehrungen zum Insolvenzschutz sind gem. § 7e Abs. 1 SGB IV n.F. zu treffen:
▪ |
soweit die Ausgleichsansprüche nicht durch Insolvenzgeld abgedeckt sind, |
▪ |
soweit das Wertguthaben einschließlich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag den Betrag der monatlichen Bezugsgröße (2018: alte Bundesländer 3.045,00 EUR, neue Bundesländer 2.695,00EUR) übersteigt. |
Rz. 286
Diese Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen, werden zwar nicht nur bei Langzeit- und Lebenszeitkonten, sondern können auch bei Flexibilisierung der jährlichen Arbeitszeit erreicht werden, aber die Regelungen des § 7e Abs. 1 SGB IV gelten nicht für Jahresarbeitszeitkonten. Denn § 7b SGB IV enthält nunmehr eine umfassendere Definition von Wertguthaben, und zwar in Form einer Negativabgrenzung. Demgemäß werden Kurzzeit-, Mittelzeit- oder Gleitzeitkonten, mit denen das Ziel der ...