Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
aa) Gegenstand der Mitbestimmung
Rz. 473
Im Bereich der sozialen Angelegenheiten besteht aufgrund des § 87 Abs. 1 Nr. 12 BetrVG zugunsten des Betriebsrates ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bzgl. der Erstellung von "Grundsätzen über ein betriebliches Vorschlagswesen".
Rz. 474
Dieses Mitbestimmungsrecht greift ein, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht (§ 87 Abs. 1 BetrVG). Soweit eine gesetzliche Regelung über einen Teilbereich betrieblicher Verbesserungsvorschläge besteht – z.B. im Fall qualifizierter technischer Verbesserungsvorschläge nach § 20 Abs. 1 ArbnErfG – ist die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrates hinsichtlich der Vergütung suspendiert. Arbeitgeber und Betriebsrat können aber, im Rahmen einer freiwilligen Vereinbarung, auch den gesetzlich vorgegebenen Rahmen der qualifizierten Verbesserungsvorschläge einer ergänzenden betrieblichen Regelung zuführen. (Gaul, AuR 1987, 367; Fitting, § 87 BetrVG Rn 544).
bb) Inhalt und Umfang
Rz. 475
Dem Betriebsrat kommt ein Initiativrecht zur Regelung der Grundsätze des betrieblichen Vorschlagswesens zu, sobald für eine derartige Regelung im konkreten Betrieb ein Bedürfnis besteht (BAG v. 28.4.1981 – 1 ABR 53/79; BAG v. 16.3.1982 – 1 ABR 63/80).
Aufgrund dieser Rspr. bietet sich hinsichtlich des Inhaltes und Umfanges des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates über das betriebliche Vorschlagswesen folgendes Bild:
Rz. 476
Mitbestimmungsfrei sind folgende Sachverhalte bzw. Gegenstände:
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alle schutzfähigen Arbeitnehmererfindungen sowie Vergütungsregelungen für qualifizierte technische Verbesserungsvorschläge i.S.d. § 20 Abs. 1 ArbnErfG, |
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die Entscheidung über die insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel (Dotierungsrahmen, Prämienetat BAG v. 8.12.1981 – 1 ABR 55/79; BAG v. 15.5.2001 – 1 ABR 39/00) sowie die Festsetzung der Prämie im Einzelfall (BAG v. 16.3.1982 – 1 ABR 63/80), |
▪ |
die Gewährung einer (freiwilligen) Anerkennungsprämie für nicht durchgeführte Verbesserungsvorschläge, |
▪ |
die Entscheidung über die Annahme bzw. Nutzung (Verwertung, Einführung) des Verbesserungsvorschlages (sofern durch die Einführung nicht anderweitige Mitbestimmungsrechte betroffen sind, z.B. §§ 90ff. BetrVG). |
Rz. 477
Demgegenüber ist von einer Mitbestimmungspflichtigkeit in folgenden Fällen auszugehen:
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die "Grundsätze des betrieblichen Vorschlagswesens im Wege des sog. Initiativrechts (BAG v. 28.4.1981 – 1 ABR 53/79; BAG v. 16.3.1982 – 1 ABR 63/80), |
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der Aufbau und die allgemeine Organisation (nicht aber die organisatorische Einzelmaßnahme) des betrieblichen Vorschlagswesens, d.h. die Einrichtung bestimmter Stellen, die abstrakten Regeln ihrer Besetzung und ihre Aufgaben, |
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die Ausgestaltung des Verfahrens der Einreichung und Entscheidung sowie des Geschäftsganges innerhalb der Organe/Träger des betrieblichen Vorschlagswesens, |
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die Festlegung des Teilnehmerkreises (mit Ausnahme der leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG BAG v. 28.4.1981 – 1 ABR 53/; BAG v. 16.3.1982 – 1 ABR 63/80), |
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die Begriffsbestimmung für die einzelnen Typen der Verbesserungsvorschläge, |
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die Prämierungsgrundsätze bzw. Bewertungsmaßstäbe und deren Ausformung (nicht jedoch die konkrete Prämienentscheidung) (BAG v. 28.4.1981 – 1 ABR 53/79). |
Rz. 478
Wird ein Beauftragter für das betriebliche Vorschlagswesen bestellt, hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 12 BetrVG zwar über die Frage mitzubestimmen, ob überhaupt ein derartiger Beauftragter innerhalb der Organisation des Vorschlagswesens bestellt wird, nicht aber durch wen und mit wem diese Position zu besetzen ist (BAG v. 16.3.1982 – 1 ABR 63/). Die personelle Besetzung kann aber Mitbestimmungsrechte nach § 99 BetrVG auslösen.
cc) Durchführung und Form
Rz. 479
Die Aufstellung von Grundsätzen des betrieblichen Vorschlagswesens erfolgt regelmäßig in Form einer Betriebsvereinbarung nach Maßgabe des § 77 BetrVG zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber. Sofern Verbesserungsvorschläge nicht nur im einzelnen Betrieb, sondern in mehreren Betrieben eines Unternehmens oder Konzernes umgesetzt werden, ist gem. §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 BetrVG hierfür der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat zuständig (Richardi, BetrVG, § 87 Rn 971). Die Ausübung dieses Mitbestimmungsrechtes bzw. die Durchführung des betrieblichen Vorschlagswesens aufgrund einer formlosen Regelungsabrede (Betriebsabsprache) dürfte angesichts des jedenfalls im Regelfall anzunehmenden Dauercharakters einer solchen Regelung rechtlich nicht zulässig sein (Richardi, BetrVG, § 87 Rn 970; Schwab, AR-Blattei SD 1760 Rn 73; a.A. GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn 1073).