Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
(1) Abschluss
Rz. 488
Die mitbestimmungspflichtigen Grundsätze des betrieblichen Vorschlagswesens i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 12 BetrVG sind in Form einer Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 2 BetrVG schriftlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (ggf. Gesamt- oder Konzernbetriebsrat) niederzulegen. Darüber hinaus besteht hinsichtlich der nicht der obligatorischen Mitbestimmung unterliegenden Regelungsgegenstände des betrieblichen Vorschlagswesens die Möglichkeit, eine freiwillige Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG abzuschließen.
(2) Beendigung und Nachwirkung
Rz. 489
Als Beendigungsgründe für eine derartige Betriebsvereinbarung kommen Zeitablauf, Zweckerreichung, Aufhebungsvertrag, Betriebsstilllegung und Fusion, Wegfall der Geschäftsgrundlage sowie Kündigung in Betracht.
Rz. 490
Vorbehaltlich einer anderweitigen Regelung in der Betriebsvereinbarung selbst, gelten deren Regelungen nach deren Ablauf bis zu einer Neuregelung weiter (sog. Nachwirkung = unmittelbare, aber nicht mehr zwingende Weitergeltung der Normen der Betriebsvereinbarung), soweit es sich um Regelungen der erzwingbaren Mitbestimmung handelt (§ 77 Abs. 6 BetrVG). Hingegen wirkt eine Betriebsvereinbarung, die einen Gegenstand der sog. freiwilligen Mitbestimmung regelt, nicht nach. Ebenso scheidet nach der bisherigen Rspr. des BAG eine Nachwirkung aus, wenn die Angelegenheit z.T. der freiwilligen, z.T. der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegt (sog. teilmitbestimmte Regelung, BAG v. 21.8.1990 – 1 ABR 73/89; LAG Baden-Württemberg v. 17.5.2017 – 4 Sa 1/17).
Rz. 491
Das BAG differenziert im Bereich der Nachwirkung zudem nach dem Kündigungszweck. Bei vollständigem Entfallenlassen der freiwilligen Leistung besteht keine Nachwirkung; bei Reduzierung des Volumens oder Änderung des Verteilungsschlüssels hingegen besteht Nachwirkung (BAG v. 26.10.1993 –1 AZR 46/93 sowie BAG v. 17.1.1995 – 1 ABR 29/94; auch LAG Baden-Württemberg v. 20.7.2017 – 17 TaBV 2/17).
Rz. 492
Diese Nachwirkung kann allerdings von den Betriebsparteien auch nachträglich positiv wie negativ vereinbart werden (BAG v. 9.2.1984 – 6 ABR 10/81).
Rz. 493
Die Teilkündigung in Bezug auf einzelne Teile der Betriebsvereinbarung ist nur dann rechtlich zulässig, wenn sie entweder in der Betriebsvereinbarung selbst ausdrücklich zugelassen ist und/oder diese sich auf selbstständige Regelungsgegenstände bezieht, die mit dem weiteren Inhalt der Betriebsvereinbarung nicht notwendigerweise zusammenhängen. Ansonsten ist eine Teilkündigung nicht möglich (BAG v. 19.3.1957 – 3 AZR 249/54; BAG v. 29.5.1964 – 1 AZR 281/63und BAG v. 14.11.1990 – 5 AZR 509/89).
(3) Teilnehmerkreis
Rz. 494
Teilnahmeberechtigt am System des betrieblichen Vorschlagswesens sind in jedem Fall alle Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG.
Rz. 495
Nicht erfasst werden die folgenden Personenkreise:
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betriebsfremde Personen und solche, für die das BetrVG aufgrund ihrer Arbeitgeberstellung nicht gelten kann, wie leitende Angestellte i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG sowie insb. Organvertreter wie Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer, |
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ehemalige Betriebsangehörige wie Pensionäre und Vorruheständler, da dieser Personenkreis in keiner arbeitsrechtlichen Beziehung mehr zum Betrieb steht, dies auch dann nicht, wenn er noch eine Betriebsrente erhält, |
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Personen, die z.B. aufgrund eines Werkvertrages oder gelegentlich der Durchführung von Dienstleistungen im Betrieb tätig sind, da sie als Mitarbeiter von Drittfirmen in keiner arbeitsrechtlichen Beziehung zum Betrieb, in welchem das System des betrieblichen Vorschlagswesens besteht, stehen, |
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freie Mitarbeiter, welche aufgrund mangelnder "Fremdbestimmtheit" ihrer Arbeit in keinem Arbeitsverhältnis zum Betrieb stehen. |
Rz. 496
Anders stellt sich die Rechtslage für den Leiharbeitnehmer dar. Für Arbeitnehmererfindungen und technische Verbesserungsvorschläge sieht § 11 Abs. 7 AÜG die Zuordnung zum Entleiherbetrieb vor. Da Leiharbeitnehmer nach der Rspr. durch die gespaltene Arbeitgeberstellung nicht benachteiligt werden dürfen (BAG v. 15.12.1992 – 1 ABR 38/92,) und sich ihre Nichteinbeziehung in das System des betrieblichen Vorschlagswesens nachteilig auf die Motivation auswirken kann, spricht viel dafür, auch Leiharbeitnehmer in das betriebliche Vorschlagswesen im Entleiherbetrieb einzubeziehen (Rieble/Gistel, DB 2005, 1382, 1383).
Rz. 497
Personen, die nicht dem persönlichen Geltungsbereich von Betriebsvereinbarungen unterfallen, können durch gesonderte Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und den Betroffenen in ein bestehendes Vorschlagswesen einbezogen werden.
Rz. 498
Der nachträgliche Ausschluss einer Person, die bereits einen Verbesserungsvorschlag eingereicht hat, aus dem Kreis der Prämienberechtigten durch eine ablösende Betriebsvereinbarung, ist wegen Verletzung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes i.V.m. § 75 BetrVG rechtsunwirksam (Hess. LAG v. 18.5.2001 – 9/2 Sa 1130/00).