Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 1611
Die gesetzliche Unfallversicherung ist eine reine Unternehmerversicherung, die keine Beitragsbelastung der Arbeitnehmer vorsieht. Die Beiträge werden ausschließlich von den Unternehmern aufgebracht. Die Höhe der Beiträge richtet sich nach dem Finanzbedarf der Unfallversicherungsträger, dem Entgelt der Versicherten sowie dem Grad der Unfallgefahr in dem Unternehmen (§ 153 SGB VII).
Rz. 1612
Das BSG hat in ständiger Rspr. zu diesem wichtigen Gebiet folgende Hinweise gegeben (s. BSG v. 11.4.2013 – 2 U 8/12 R m.w.N.):
Der Unfallversicherungsträger setzt die Gefahrklassen in einem Gefahrtarif durch seine Vertreterversammlung als autonomes Recht fest (§ 157 Abs. 1 SGB VII, § 33 Abs. 1 S. 1 SGB IV). Der Gefahrtarif ergeht als autonome Satzung. In den Satzungsregelungen sind zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen (§ 157 Abs. 1 S. 2 SGB VII). Der Gefahrtarif ist nach Tarifstellen zu gliedern, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden (§ 157 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Die Gefahrklassen werden aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet (§ 157 Abs. 3 SGB VII). Der beschlossene Gefahrtarif hat eine Geltungsdauer von höchstens sechs Kalenderjahren (§ 157 Abs. 5 SGB VII). Er ist vom BVA als Aufsichtsbehörde zu genehmigen (§ 158 Abs. 1 SGB VII).
Bei der Erfüllung der Rechtspflicht, einen Gefahrtarif festzusetzen und Gefahrklassen zu bilden, steht der Vertreterversammlung als Organ der Beklagten ein autonom auszufüllendes Rechtsetzungsrecht zu. Den Unfallversicherungsträgern als ihre Angelegenheiten selbst regelnde öffentlich-rechtliche Körperschaften ist hierbei ein Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt, soweit sie innerhalb der ihnen erteilten gesetzlichen Ermächtigung autonomes Recht setzen.
Der Gefahrtarif der Beklagten kann nur inzident, d.h. im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Veranlagungsbescheid überprüft werden. Der Veranlagungs- (und auch der Beitragsbescheid) stellen belastende Verwaltungsakte dar, die nur aufgrund einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage erlassen werden dürfen.
Rz. 1613
Prüfungsmaßstab für die zu prüfende Rechtmäßigkeit der Gefahrtarifstelle 1 eines Gefahrtarifs der Beklagten ist, ob das autonom gesetzte Recht mit dem SGB VII, insbesondere mit der Ermächtigungsgrundlage in § 157 SGB VII, sowie mit tragenden Grundsätzen des Unfallversicherungsrechts und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist (vgl. insbesondere zur Tarifstellenbildung: BSG v. 21.8.1991 – 2 RU 54/90). Dagegen steht den Gerichten die Prüfung, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft, nicht zu (BSG v. 28.11.2006 – B 2 U 10/05 R). Die Abwägung zwischen mehreren, für die eine oder andere Regelung bei der Ausgestaltung des Gefahrtarifs sprechenden Gesichtspunkte und die Entscheidung hierüber obliegt dem zur autonomen Rechtsetzung berufenen Organ des Unfallversicherungsträgers. Welche und wie viele Tarifstellen der Gefahrtarif enthalten soll, kann der Unfallversicherungsträger im Rahmen dieser Regelungsbefugnis bestimmen. Allerdings ist eine Satzungsregelung, die es dem Vorstand eines gewerblichen Unfallversicherungsträgers überlässt, die Höhe des einheitlichen Mindestbeitrags festzusetzen, mangels gesetzlicher Ermächtigung unwirksam. Die gesetzeswidrige Satzungsbestimmung ist auch nicht ausnahmsweise vorübergehend weiter anzuwenden (BSG v. 4.12.2014 – B 2 U 11/13 R, BSGE 118, 9–18; s. hinsichtlich der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beiträge BSG v. 17.12.2015 – B 2 U 2/14 R).